Versammlungen
sind Zusammenkünfte zum Zwecke der Unter-
haltung, Erheiterung, Belehrung oder des Kunst-
genusses (Gesellschaftsspiele, Bälle, Schaustel-
lungen, Vorstellungen, Aufführungen und son-
stige Lustbarkeiten, gemeinschaftliche Ubungen im
Gesang, Turnen u. dgl., wissenschaftliche Vor-
träge, gemeinsame Unterrichtsstunden, Vor-
lesungen usw.) keine Versammlungen im Sinne
des Ver G. (vgl. hierzu OVG. 54, 252; 56, 299
und OV G. vom 24. Juni 1910 1 A 70/09, sowie
KGJ. 36 Cô“). Dagegen ist es nicht erforderlich,
daß den Gegenstand der gemeinschaftlichen Tätig-
keit der Zusammengekommenen eine öffent-
liche Angelegenheit bildet. — Die Tätigkeit
einer V. besteht in ihren „Verhandlungen“. Hier-
unter ist nicht nur ein mündlicher Ausdruck von
Gedanken durch einen Redner oder eine wechsel-
seitige Erörterung von Gedanken durch mehrere
Redner zu verstehen, sondern jede Art der Kund-
gebung von Gedanken, also auch eine solche in
schriftlicher Form oder durch bildliche oder mi-
mische Darstellungen (sog. stumme V.). — Der
bei der Einladung angegebene Zweck der Zu-
sammenkunft ist nicht unter allen Umständen ent-
scheidend; es kommt vielmehr auf deren tatsäch-
liche Gestaltung an. Auch mit Lustbarkeiten, an-
geblich wissenschaftlichen Vorträgen u. dgl. kann
ein weiterer Zweck unter Umgehung des Gesetzes
verbunden sein, der die Zusammenkunft zu einer
V. im Sinne des Ver G. macht. Zusammen-
künfte, die nach vorstehendem keine V. sind,
fallen auch dann nicht unter das Ver G., wenn
sie sich nicht auf einen geschlossenen Personenkreis
beschränken, sondern jedermann zugänglich sind
(s. Geschlossene Gesellschaften).
Ihnen gegenüber bestehen daher einerseits für
die Polizei nicht die Beschränkungen in
der Zulässigkeit einer Verhinderung der Zu-
sammenkunft aus ordnungs= vder sicherheits-
polizeilichen Gründen, wie sie der Polizei V.
gegenüber durch das Ver G. im Interesse der
Versammlungsfreiheit auferlegt sind (s. unten 1I),
andererseits aber auch für die Veranstalter und
Teilnehmer der Zusammenkunft nicht die Ver-
pflichtungen, deren Erfüllung durch das
Ver G. für V. vorgeschrieben ist, wie die Ver-
pflichtung zur Unterlassung des Waffentragens
und zum Gebrauche der deutschen Sprache in
öffentlichen V., zur Einholung einer polizeilichen
Genehmigung für öffentliche V. unter freiem Him-
mel, zur polizeilichen Anzeige und zur Leitung von
öffentlichen politischen VW. (s. das Nähere unten III).
— Gewisse Arten von V. sind nach ausdrücklicher
Vorschrift des Ver G. (§ 20) von dessen Anwen-
dung ausgenommen. Es sind dies solche V.,
welche durch das Gesetz oder die zu-
ständige Behörde angeordnet wor-
den sind, so namentlich auch V. der kommunalen
Körperschaften, jedoch nur dann, wenn sie in
gesetzmäßiger Weise, also durch die hierzu befugten
Personen, zusammenberufen werden (vgl. K#.
14, 354; 17, 416). — Für die V. der kirchlichen
und religiösen Vereine sind die sie betrefsenden
Vorschriften des Landesrechts aufrechterhalten
(Ver G. § 24); nur insoweit solche bestehen,
sind daher die ihnen entgegenstehenden Vor-
schriften des Ver G. nicht anwendbar. Für Preu-
ßen waren solche Vorschriften, soweit V. in Be-
tracht kommen, nur im § 2 Abfs. 3 der V. vom
porationsrechte haben, nicht beziehen.
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11. März 1850 (GS. 277) erlassen worden,
wonach die Bestimmungen über die Anzeige von
V., in welchen öffentliche Angelegenheiten er-
örtert oder beraten werden sollen, sich auf V.
kirchlicher oder religiöser Vereine, welche Kor-
Die V.
dieser Vereine bedürfen hiernach keiner An-
zeige bei der Polizeibehörde. Ebensowenig kann
das in dem preuß. Vereinsrecht nicht enthaltene
Verbot der Verhandlung in einer nichtdeutschen
Sprache (Ver G. § 12) auf die V. der bezeich-
neten kirchlichen oder religiösen Vereine keine
Anwendung finden; auch in dieser Hinsicht gilt
sie für das alte Recht weiter (s. hierzu Ber-
eine IIa)z. Vereine der gedachten Art, welche
keine Korporationsrechte besitzen, unterstehen
dagegen auch hinsichtlich ihrer V. den Vor-
schriften des Ver G. (vgl. OV G. 42, 411).
II. Recht auf Versammlung. Nach
#* 1 Ver G. haben alle Reichsangehörigen das
Recht, sich zu Zwecken, die den Strasgesetzen nicht
zuwiderlaufen, zu versammeln; dieses Recht ist
nur den in dem Gesetze selbst oder in anderen
Reichsgesetzen enthaltenen Beschränkungen unter-
worfen. Hiermit ist (ebenso wie früher in dem
durch das Ver G. ersetzten Art. 29 Vü.) der Grund-
satz der Versammlungsfreiheit aufgestellt. Das
Versammlungsrecht des einzelnen ist lediglich
von seiner Reichsangehörigkeit abhängig und —
abgesehen von der noch zu erörternden Ausnahme
bei politischen V. (s. unten IV) — auch nicht
von einem bestimmten Alter. Hinsichtlich der
Teilnahme von Reichsausländern an
V. s. Ausf Anw. vom 13. Mai 1908 Nr. 1(Ml.
1900, 14) und O# G. 53, 265. ç
Die allgemeinen sicherheitspolizei-
lichen Bestimmungen des Landes-
rechts finden auf V. nach § 1 des Ver G. nur
insoweit Anwendung, als es sich um Verhütung
unmittelbarer Gefahr für Leben und Gesundheit
der Teilnehmer an einer V. handelt. Ferner ist
das polizeiliche Verbot einer V. auch für eine
Zeit zulässig, zu der nach den (durch § 24
Ver G. aufrechterhaltenen) landesrechtlichen Vor-
schriften über die Heilighaltung der Sonn-
und Festtage V. nicht stattfinden dürfen
(vgl. OVG. vom 20. Sept. 1910 — Prl.
32, 414). Zu den landesrechtlichen Vorschriften
gehören auch Polizeiverordnungen über den er-
wähnten Gegenstand. Durch sie können öffent-
liche V. und Aufzüge auch an dem einen ge-
setzlichen Feiertag darstellenden Bußtage ver-
boten werden (O##. vom 20. Okt. 1910 — I1 A
92/09). Jedoch sind für Sonntage, die nicht zu-
gleich Festtage (s. d.) sind, Beschränkungen des
Versammlungsrechts nur bis zur Beendigung des
vormittägigen Hauptgottesdienstes zulässig (vyl.
O# G. 35, 424; 41, 404). — Zivilrechtliche oder
disziplinarische Bestimmungen, die den einzelnen
in seinem Versammlungsrechte beschränken (z. B.
mit Rücksicht auf seine Eigenschaft als Staats-
beamter) werden, da sie nicht polizeilicher Natur
sind, durch das Ver G. nicht berührt (AusfBest.
vom 13. Mai 1908 Abs. 1). — Den zum aktiven
Heere gehörigen Militärpersonen ist
die Teilnahme an politischen V. durch § 49 des
RMil . vom 2. Mai 1874 (RGBl. 45) untersagt.
Wer unbefugt eine V. von Personen des Sol-
datenstandes behufs Beratung über militärische