Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Zweiter Band (L-Z). (2)

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Angelegenheiten oder Einrichtungen veranstaltet 
und die an einer solchen V. Beteiligten werden 
gemäß 8 101 MStGB. bestraft. 
V., deren Zweck den Strafgesetzen 
zuwiderläuft, sind außer den eben er- 
wähnten namentlich solche V., welche Zuwider- 
handlungen gegen die 88 110, 111, 115, 116, 
124, 125, 127—129 StGB. und in Preußen 
auch solche, welche Zuwiderhandlungen gegen 
das G. vom 24. April 1854, betr. die Verletzungen 
der Dienstpflichten des Gesindes oder der länd- 
lichen Arbeiter (G. 214), bezwecken (s. Ver G. 
§ 24). Die bloße Befürchtung der Polizeibehörde, 
daß die V. zu einer Verletzung der Strafgesetze 
oder zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicher- 
heit und Ordnung führen könnte, rechtfertigt ein 
Verbot der V. selbst dann nicht, wenn die Polizei 
ihre Befürchtung auf Tatsachen stützen kann 
(Ausf Vf. vom 13. Mai 1908 Nr. 10). Jedoch 
werden die zu einer V. zusammentretenden 
Personen deshalb, weil sie ihr Versammlungs- 
recht ausüben, nicht von sonstigen gesetzlichen oder 
polizeilichen Vorschriften befreit, die nicht das 
Versammlungsrecht betreffen, sondern allgemeiner 
Art sind (vgl. KG J. 38 C 40). Das polizeiliche 
Einschreiten bei Zuwiderhandlungen gegen solche 
Vorschriften in einer V. darf sich aber nicht gegen 
die V. als solche, sondern nur gegen die einzelnen 
Täter richten. Diese dürfen trotz ihrer Teilnahme 
an der V. von der Polizei festgenommen werden, 
wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine 
solche Maßregel vorliegen (vgl. OV G. 26, 401; 
42, 419; RöSt. 40, 302; Ko# J 38 C 42). 
Eine zeitweise Außerkraftsetzung des 
Versammlungsrechts kann bei Verkündigung des 
Kriegszustandes oder des Belagerungszustandes 
gemäß Art. 68 RV., § 111 Vl., des preuß. G. 
vom 4. Juni 1854 und § 24 Ver G. erfolgen (s. 
Aufruhr; Belagerungszustand). 
III. Das Ver G. unterscheidet hinsichtlich der 
Rechte und Pflichten der das Versammlungsrecht 
ausübenden Personen sowie hinsichtlich der Befug- 
nisse der Polizei ihnen gegenüber zwischen öf- 
fentlichen und nichtöffentlichen V. und hebt 
unter den öffentlichen die politischen her- 
vor. 
Offentliche Versammlungen im 
allgemeinen. Offentliche V. sind solche 
V., zu denen entweder jedermann oder einem 
nicht individuell begrenzten Personenkreise der 
Zutritt freisteht. Unerheblich ist es, ob einzelne 
Personen oder Personenklassen vom Zutritt 
ausgeschlossen sind, ob die Zulassung an gewisse 
allgemeine Voraussetzungen, wie Zugehörigkeit 
zu einer bestimmten Partei oder Bevölkerungs- 
klasse, Wohnsitz in einem bestimmten Bezirk u. dgl. 
geknüpft ist, ob ein Eintrittsgeld erhoben wird und 
ob die V. an einem öffentlichen Orte stattfindet. — 
Ob die von einem Verein veranstaltete V. 
als eine öffentliche anzusehen ist, hängt von den 
tatsächlichen Umständen des Einzelfalls ab. Sie 
ist stets eine öffentliche, wenn sie nicht lediglich 
für die Mitglieder des Vereins, sondern für einen 
nicht individuell abgegrenzten Personenkreis be- 
stimmt ist. Jedoch macht die Zulassung einzelner 
Gäste zu einer Vereinsversammlung diese noch 
nicht zu einer öffentlichen (s. Geschlossene 
Gesellschaften). Die V. eines Vereins ist 
auch nicht schon deshalb eine öffentliche, weil der 
  
Versammlungen 
Verein eine große Zahl von Mitgliedern zählt, 
sofern nur die Aufnahme in den Verein von einer 
Entschließung des Vereins oder seines Vorstandes 
abhängig ist und ein fester Zusammenhang zwischen 
den Mitgliedern besteht (O G. 54, 281; 56, 332). 
Dagegen ist sie eine öffentliche, wenn die räumliche 
Ausdehnung des Vereinsgebiets und die Zahl der 
Vereinsmitglieder so groß, der Erwerb und Ver- 
lust der Mitgliedschaft so formlos und die Ber- 
bindung der Mitglieder des Vereins so lose ist, 
daß diese einen geschlossenen, bestimmt ab- 
gegrenzten Kreis untereinander verbundener Per- 
sonen nicht bilden (ugl. R# St. 21, 256 und Ausf- 
Vf. vom 13. Mai 1908 Nr. 5). Das Be- 
stehen eines solchen geschlossenen Kreises kann 
nicht schon aus der lediglich durch die Gleichheit 
der äußeren Arbeitsverhältnisse bedingten Ge- 
meinschaft der sich versammelnden Fabrikarbeiter 
oder aus der Gemeinsamkeit der von ihnen ver- 
folgten wirtschaftlichen Zwecke hergeleitet werden 
(RsSt. 44, 132). Die V. eines Vereins ist 
auch dann eine öffentliche, wenn der Verein 
lediglich in der Absicht gebildet ist, das Gesetz 
dadurch zu umgehen, daß der Anschein erweckt 
wird, als ob die B. nicht jedermann, sondern 
nur den in den VBerein eingetretenen Personen 
zugänglich ist (OVG. vom 20. Sept. 1910 — 
A 78/09). 
1 
Während die nichtöffentlichen V., 
gleichviel welchem (nicht strafbarem) Zwecke sie 
dienen, weder einer Anzeige bei der Polizei noch 
einer polizeilichen Genehmigung bedürfen, noch 
sonstigen polizeilichen Beschränkungen, außer der 
(oben zu II) erwähnten, zur Verhütung einer 
unmittelbaren Gefahr für Leben und Gesundheit 
der Teilnehmer erforderlichen, und den noch 
(unten IVo) zu erörternden Ausschlusse jugend- 
licher Personen von V. politischer Vereine unter- 
liegen, bestehen für alle öffentlichen V. 
ohne Unterschied ihres Zweckes gewisse Beschrän- 
kungen. Sie bedürfen (nach § 7 Ver G.) einer 
Genehmigung der Polizeibehörde, wenn 
sie unter freiem Himmel stattfinden sollen; sie 
dürfen (nach § 11) nicht von Bewaffneten 
besucht werden; sie müssen (nach § 12) in deut- 
scher Sprache verhandeln. Sind sie 
öffentliche politische V., so bedürfen 
sie auch für ihren Zusammentritt in geschlossenen 
Räumen (nach §§ 5 u. 6 Ver G.) einer Anzeige 
bei der Polizeibehörde sowie (nach § 10) eines 
Leiters und dürfen (nach § 18) nicht von 
jugendlichen Personen besucht werden. 
Diese letzte Beschränkung gilt auch für solche 
nichtöffentliche V. politischer Vereine, 
bei denen es sich nicht um Veranstaltungen zu 
geselligen Zwecken handelt. Endlich dürfen ge- 
wisse Arten von öffentlichen V. durch Beauf- 
tragte der Polizei überwacht und von diesen beim 
Eintritt bestimmter Voraussetzungen auf- 
gelöst werden (Ver G. 8§§ 13, 14). Es sind dies 
alle V. unter freiem Himmel (§ 7) und von den 
in geschlossenen Räumen stattfindenden V. 
diejenigen, in denen politische Angelegenheiten 
erörtert werden sollen (§8 5, 6), ferner solche, 
welche sich als V. der Wahlberechtigten oder ge- 
werblicher Koalitionen nach Maßgabe der Be- 
stimmungen im § 6 Abs. 2 u. 3 Ver G. darstellen 
und schließlich V., in welchen die Verhandlungen 
nicht in deutscher Sprache geführt werden sollen
	        
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