Versammlungen
(§ 12). Anderen öffentlichen V. gegenüber, als
den bezeichneten steht der Polizei zwar nicht das
erwähnte reichsgesetzliche ÜUberwachungsrecht zu,
wohl aber, sofern ein sich auf Tatsachen stützender
Verdacht hierzu Anlaß gibt, die Befugnis, be-
hufs Feststellung, ob die V. und die Vorgänge in
ihr ein polizeiliches Einschreiten erforderlich ma-
chen, die V. zu überwachen, und zwar auch
mittels Entsendung ihrer Organe in die V.
(OV#. vom 24. Jan. 1911 — I A 73. 10 und
I1 A 119. 10). Anderer Ansicht sind das Kgl. Sächs-
OG. (SächsOBG. 13, 330) und der Strassenat
des O# G. Celle (Urt. vom 25. Mai 1909) insofern,
als sie das reichsgesetzliche Uberwachungsrecht der
Polizei für alle öffentlichen V. nicht nur die in der
Klammer des § 13 Abs. 1 bezeichneten zusprechen.
— Im einzelnen ist folgendes zu bemerken:
a) V. unter freiem Himmel. Unter
„freiem Himmel“ findet eine V. dann statt,
wenn der Versammlungsraum kein geschlossener
ist (ogl. O#V G. 46, 439; 56 S. 308 u. 318; KoJ.
18, 301; Rt. 4, 425). Eine V., die in einem
geschlossenen Raume veranstaltet wird, ist (nach
7* 8 Ver G.) nicht schon deshalb als eine V. unter
freiem Himmel anzusehen, weil außerhalb des
Versammlungsraums befindliche Personen an
der Erörterung teilnehmen oder weil die V. in
einen mit dem Versammlungsraume zusammen-
hängenden umfriedeten Hof oder Garten verlegt
ist. Der Zusammenhang muß räumlich und
wirtschaftlich, auch die V. in einen geschlossenen
Raum einberufen und dort zunächst zusammen-
getreten sein (vgl. O G. 55, 277; 56, 308).
Offentliche V. unter freiem Himmel bedürfen
(nach §7 VerG.) der Genehmigung der
Polizeibehörde (in Preußen der Ortspolizei-
behörde). Die Genehmigung ist von dem Ver-
anstalter der V. mindestens 24 Stunden vor dem
Beginn der V. unter Angabe des Ortes und der
Zeit der V. (d. h. ihres Beginns, aber nicht ihres
Schlusses) nachzusuchen. Sie ist schriftlich
zu erteilen und darf nur versagt werden, wenn aus
der Abhaltung der V. Gefahr für die öffentliche
Sicherheit zu befürchten ist. Im Falle der Ver-
weigerung der Genehmigung ist dem Veran-
stalter sofort ein kostenfreier Bescheid mit Angabe
der Gründe zu erteilen. — Die Versagung der
Genehmigung ist nur gerechtfertigt, wenn be-
stimmte Tatsachen vorliegen, die nach
vernünftigem Ermessen eine absehbare Ge-
fährdung der öffentlichen Sicherheit besorgen
lassen (OG. 55, 277; 56 S. 308 u. 318;
O VG. vom 8. Juli 1910 Ml. 62).
Die Polizeibehörde ist unbeschränkt zur Zu-
rücknahme der erteilten Genehmigung befugt
(OVG. vom 9. Dez. 1910 — I A 58. 10). Über
die Unanwendbarkeit der Vorschrift des § 8 in
Fällen, in denen die Einladung in einem ge-
schlossenen Raum nur zur Umgehung der Vor-
schrift des § 7 erfolgt, s. Ausf Bf. vom 13. Mai
1908 Nr. 11. — Die Landeszentralbehörde darf
bestimmen, daß und unter welchen Voraus-
setzungen die Genehmigung für V. unter freiem
Himmel durch eine Anzeige oder öffentliche Be-
kanntmachung ersetzt wird (Ver G. § 9 Abs. 1).
In Preußen ist von dieser Ermächtigung bisher
kein Gebrauch gemacht worden. Die Be-
scheide, durch welche die Genehmigung erteilt
oder versagt wird, sind in Preußen stempel-
839
frei (Vf. vom 13. Aug. 1908, MBl. 166). —
Die Versagung der Genehmigung stellt eine in
Preußen mit den Rechtsmitteln der §§ 127 ff.
LVG. anfechtbare polizeiliche Vf. dar (ogl.
O#G. 22, 407). — Eine ohne Genehmigung
stattfindende V. unter freiem Himmel kann nach
5*s 14 Nr. 2 Ver G. polizeilich aufgelöst werden
(s. unten d); die Veranstalter und Leiter einer
solchen V. sind nach § 18 Nr. 2 und § 19 Nr. 1
strafbar, dagegen nicht die bloßen Keilnehmer der
V. (. Ausf Vf. vom 13. Mai 1908 Nr. 20). —
Für Aufzüge auf öffentlichen Straßen oder
Plätzen gelten im allgemeinen dieselben Vorschrif-
ten, wie für V. unter freiem Himmel (s. Auf-
züge).
b) An wwesenheit von Bewaffne-
ten. Nach § 11 Ver G. darf niemand in einer
öffentlichen V. bewaffnet erscheinen, es sei denn,
daß er vermöge öffentlichen Berufs zum Waffen-
tragen berechtigt oder zum Erscheinen mit Waffen
behördlich ermächtigt ist. Ein gleiches Verbot
besteht für Aufzüge (s. d.). Das Verbot erstreckt
sich auf alle öffentlichen V. ohne Unterschied ihres
Zweckes und Ortes, aber nicht auf Zusammen-
künfte, die sich nicht als V. im Sinne des Ver G.
darstellen, und auch nicht auf solche V., die von
der Geltung des Ver G. nach dessen § 20 ausge-
nommen sind (s. oben 1). Die unbefugte Bildung
eines bewaffneten Haufens ist jedoch unter allen
Umständen durch § 127 St G. verboten. Über
den Begriff der „Waffe“ vgl. O G. 20, 440;
RGt. 8, 87; 44, 140; in betreff des Waffen-
tragens der Mitglieder der Kriegerver-
eine bei Trauerparaden, des Waffentragens
bei Schützenfesten, Studentenaufzügen und ähn-
lichen Veranstaltungen, wo das Tragen von
Waffen üblich ist, vgl. Ausf Vf. vom 13. Mai 1908
Nr. 12. Werden Bewaffnete, die unbefugt in
einer öffentlichen V. erscheinen, aus ihr nicht ent-
fernt, so kann die V. (nach Ver G. § 14 Nr. 4)
polizeilich aufgelöst werden (s. unten d); die
Bewaffneten selbst sind (nach § 19 Nr. 2) strafbar.
c) Verhandlungssprache. In allen
öffentlichen V. sind die Verhandlungen nach § 12
VerG. in deutscher (auch plattdeutscher)
Sprache zu führen. Auch dieses Gebot trifft nur
V. im Sinne des Ver G. (s. oben 1) und nur
öffentliche V. (O##G. 56, 330), diese aber ohne
Unterschied ihres Zweckes. Es trifft hiernach we-
der Zusammenkünfte von Personen, die sich an
Lustbarkeiten beteiligen, wissenschaftliche Vor-
träge anhören wollen u. dgl., noch V. eines
geschlossenen Kreises (uvgl. Ausf Vf. vom 13. Mai
1908 Nr. 13; OVG. 56 S. 306 u. 330; OVG. vom
24. Juni 1910 — 1 A 70. 09). Das Verbot des
Gebrauchs einer nichtdeutschen Sprache findet
keine Anwendung auf internationale Kongresse
sowie auf V. der Wahlberechtigten zum Betriebe
der Wahlen für den Reichstag und für die gesetz-
gebenden Versammlungen der Bundesstaaten und
Elsaß-Lothringens vom Tage der amtlichen Be-
kanntmachung des Wahltags bis zur Beendigung
der Wahlhandlung (RVGG. § 12 Abs. 2). Weiter-
gehende Ausnahmen zu machen, also den Ge-
brauch fremder Sprachen zu gestatten, ist die
Landesgesetzgebung, und zwar ohne Einschrän-
kung (§ 12 Abs. 3 Satz 1), sowie die Landeszen-
tralbehörde befugt, diese aber nur, soweit die Lan-
desgesetzgebung Abweichendes nicht bestimmt hat