Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Zweiter Band (L-Z). (2)

Versammlungen 
3. die Entfernung Bewaffneter, die unbefugt 
anwesend sind, und die Entziehung des Wortes f 
gegenüber Rednern, die sich verbotswidrig einer 
nichtdeutschen Sprache bedienen, verlangen dür- 
sen. Wird ihrem Verlangen in diesen drei Fällen 
nicht entsprochen, oder wird ihnen der Zutritt 
zur V. versagt, so dürfen die Beauftragten (oder 
einer von ihnen) die V. auflösen. Außer- 
dem sind sie zur Auflösung nur noch dann befugt, 
wenn dies aus sicherheitspolizeilichen Gründen 
zur Verhütung unmittelbarer Gefahr für Le- 
ben und Gesundheit der Teilnehmer an den 
V. notwendig ist (VerG. 8§ 1 Abs. 2) oder 
wenn in der V. Anträge oder Vorschläge er- 
örtert werden, die eine Aufforderung oder An- 
reizung zu Verbrechen oder nicht nur auf 
Antrag zu verfolgenden Vergehen enthalten 
(VerG. § 14), dagegen nicht wegen Verweige- 
rung eines angemessenen Platzes in 
der V., wegen Begehung einer strafbaren Hand- 
lung durch einen Redner oder sonstigen Teil- 
nehmer der V. Die Vorlegung der Anmelde- 
bescheinigung oder Auskunft über die Person 
der Redner zu verlangen, sind die Beauftragten 
nicht berechtigt. Auch sollen sie von ihrer Auf- 
lösungsbefugnis in der Regel nur dann Ge- 
brauch machen, wenn der Leiter der V. der Ge- 
setzwidrigkeit nicht mit Erfolg entgegentritt (vyl. 
AusfMf. vom 13. Mai 1908 Nr. 14 u. 16). 
Unter „Erörtern" von Anträgen oder Vorschlägen 
ist eine Auseinandersetzung in berichtender, be- 
lehrender oder beurteilender Form zu verstehen. 
Daher kann auch ein Vortrag oder eine Vorlesung 
hierunter fallen, aber nicht das Singen von 
Liedern (uvgl. O## G. 38, 420; KG## 22 C 110; 
25 C25; Rt. 38, 417). „Anträge“ sind solche 
Vorschläge, über welche eine Beschlußfassung der 
V. verlangt wird. Eine „Aufforderung" ist das 
an andere Personen gerichtete Verlangen, eine 
bestimmte Handlung oder Unterlassung vorzu- 
nehmen, eine „Anreizung" dagegen die Einwir- 
kung auf das Gefühl anderer Personen, um bei 
ihnen den Entschluß zu einer bestimmten Hand- 
lung hervorzurufen oder zu bestärken. Unerheb- 
lich ist es für die Auflösungsbefugnis, ob die 
Aufforderung oder Anreizung eine strafbare 
Handlung des Redners selbst darstellt (wie bei 
dem Tatbestande der 88 49 a, 85, 110—112, 130, 
210 St G.) oder nicht; erforderlich ist üaber, 
daß der Antrag oder Vorschlag auch „erörtert“ 
wird und daß er eine Aufforderung oder An- 
reizung einer bestimmten strafbaren Hand- 
lung enthält (vgl. OVG. vom 5. Dez. 1899 im 
Pr l. 21, 418). Bei der Erklärung des Beauf- 
tragten, daß die V. aufgelöst sei, muß der Grund 
der Auflösung angegeben werden. Eine bestimmte 
Form ist für die Auflösungserklärung nicht 
vorgeschrieben; sie muß aber an die B. selbst 
gerichtet, deutlich, bestimmt und unbedingt sein 
(vgl. RöSt. 2, 374). — Ist eine V. für aufgelöst 
erklärt, so hat die Polizeibehörde nach § 14 Ver G. 
dem Leiter der V. die mit Tatsachen zu belegen- 
den Gründe der Auflösung schriftlich mit- 
zuteilen, falls er dies binnen drei Tagen bean- 
tragt. — Die Auflösungsverfügung kann nach 
§§ 15, 2 Abs. 2 VerG. im Wege des Verwal- 
tungsstreitverfahrens angefochten werden, in 
Preußen mittels der in §§ 127 ff. LV G. vorge- 
sehenen Rechtsmittel. Zur Beschwerde und Klage 
  
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ist jeder Teilnehmer an der aufgelösten V. be- 
ugt. Die Frist zur Einlegung des Rechtemittels 
beginnt nicht erst mit der schriftlichen Mitteilung 
der Gründe an den Leiter der V., sondern in 
allen Fällen bereits mit der mündlichen Er- 
klärung der Auflösung durch den Beauftragten 
in der V. (OBG. 56, 321). Erklärt die Polizei- 
behörde, daß sie die Auflösungserklärung ihres 
Beauftragten nicht aufrechterhalte, so liegt 
hierin eine Zurücknahme der polizeilichen Vf., 
wodurch ein weiterer Angriff gegen sie gegen- 
standslos wird. Die Klage im Verwaltungs- 
streitverfahren ist stets gegen die Polizeibehörde, 
nicht gegen deren Beauftragte zu richten. 
Sobald eine V. für aufgelöst erklärt worden 
ist, sind alle Anwesenden (nach § 16 Ver.) 
unbedingt verpflichtet, sich sofort zu entfernen. 
Zuwiderhandlungen sind (nach § 18 Nr. 6 Ver G.) 
strafbar, und zwar auch dann, wenn die Auflösungs- 
erklärung unrechtmäßig war, oder wenn man- 
gels der Offentlichkeit der V. die Entsendung von 
Beauftragten der Polizeibehörde tatsächlich un- 
berechtigterweise erfolgt ist (R#St. 44, 132; Erl. 
vom 12. Jan. 1911 — MBl. 74). — V., welche 
die Begehung strafbarer Handlungen bezwecken 
(s. o. II), stehen nicht unter dem Schutze der 
Vorschriften des Ver G. Sie können daher von 
der Polizeibehörde sowohl im voraus verboten 
als auch mittels unmittelbaren Zwanges verhin- 
dert werden. — Die Erhebung eines Ein- 
trittsgeldes oder die Veranstaltung einer 
Tellersammlung (durch Aufstellen eines Sammel- 
tellers für freiwillige Beiträge am Eingange des 
Versammlungsraumes) ist nach preuß. Recht 
auch in einer öffentlichen V. zulässig (s. Kol- 
lekten III). 
IV. Offentliche politische V. Neben. 
den vorstehend erörterten, für die öffentlichen V. 
überhaupt geltenden Vorschriften bestehen noch 
besondere für öffentliche politische V. Die Vor- 
aussetzungen für die Offentlichkeit sind bei diesen. 
V. dieselben wie bei anderen V. Politisch 
ist eine V., wenn in ihr politische Angelegenheiten. 
erörtert werden sollen. Der Begriff der 
„politischen Angelegenheiten“ ist hier derselbe 
wie bei den politischen Vereinen (s. Vereine 
III). Eine V. ist aber nur dann eine politische, 
wenn die Erörterung politischer Angelegen- 
heiten ihr Zweck ist (vgl. O G. 38, 409) 
und nicht schon deshalb, weil sie von einem poli- 
tischen Verein veranstaltet ist (vgl. OV G. 49, 419) 
oder weil bei einer V. oder einer Zusammen- 
kunft, die zu einem anderen Zwecke veranlaßt 
worden ist, gelegentlich eine politische Erörte- 
rung, z. B. in Form einer Tischrede, stattfindet 
( GJ. 17, 423). 
Eine ursprünglich nicht politische V. wird je- 
doch zu einer politischen umgestaltet, wenn ihre 
Verhandlungen mit Willen des Veranstalters 
oder Leiters oder unter dessen Duldung das un- 
politische Gebiet verlassen und auf das politische 
übergehen (vgl. OV G. 23, 407; KGM#. 27C620.— 
Über den Begriff des „Erörierns s. o. III d. 
Die Erörterung braucht nicht unbedingt mittels 
gesprochener Worte zu erfolgen; sie kann auch 
durch Hinweis auf geschriebene oder gedruckte 
Worte oder durch Handlungen (mimische Dar- 
stellungen) vor sich gehen (s. v. I); jedoch muß 
sie eine bestimmte Angelegenheit, die auseinander-
	        
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