Verwaltungsstrafverfahren
2. Juni 1907 (GS. 145) nebst Anw. vom
vgl.
2
8. Juni 1883 (MBl. 152; JWMVBl. 223),
88 463 458 St PO. (s. hierzu Strafver-
fügungen, polizeiliche); 2. Festsetzung
von Geldstrafen wegen Zuwiderhand-
lungen gegen die Vorschriften über die
Erhebung öffentlicher Abgaben
und Gefälle durch Strafbescheide der zu-
ständigen Verwaltungsbehörden gemäß §§ 459
bis 463 St PO. und G. vom 26. Juli 1897,
betr. das V. bei Zuwiderhandlungen gegen die
Zollgesetze und die sonstigen Vorschriften über
indirekte Reichs- und Landesabgaben usw. (G.
237), nebst den hierzu erlassenen Anordnungen
und Ausführungsvorschriften, namentlich denen
vom 12. Sept. 1900 (Ml. 257) und vom
13. Juni 1905 (AbgB Bl. 498). Die Zustellungen
in dem letzteren Verfahren, dem V. im engeren
Sinne, vielfach auch administratives
Strafver fahren genannt, z. B. RStempG.
vom 3. Juni 1906 (R l. 695) § 73, er-
jolgen durch Beamte der Verwaltung der Zölle
und indirekten Steuern oder durch die Post; die
Gerichtsvollzieher dürfen für solche Zustellungen.
nicht verwendet werden (Vf. vom 6. und vom
24. März 1899 — JMl. 123; Ausf Vorschr.
vom 12. Sept. 1900 88 8—11). Wegen der Ver-
pilichtung der Amtsgerichte zur Mitwirkung,
namentlich zur Gewährung von Rechtshilfe im
V., s. § 8 des G. vom 9. Juni 1895 (REBl. 256),
5§ 10, 14 des G. vom 20. Juni 1899 (RG#Bl. 315)
und G. vom 20. Mai 1902 (REBl. 167), 8 31
des G. vom 31. Juli 1895 (GS. 413), §8 29,
32 Abs. 2 des G. vom 26. Juli 1897 (GS. 237),
§5 9 des G. vom 2. Mai 1900 (GS. 123). Wegen
des Verfahrens bei Postkontraventio-
nen s. Postwesen IV und wegen der
Verkehrsabgaben das. VI.
II. Nach den reichsrechtlichen Vorschriften der
§§5 459—463 St PO. dürfen die Strafbe-
scheide nur Geldstrafen sowie eine etwa ver-
wirkte Einziehung festsetzen. Der Strafbescheid
muß die strafbare Handlung, das angewendete
Strafgesetz und die Beweismittel bezeichnen,
auch die Eröffnung enthalten, daß der Be-
schuldigte, sofern er nicht eine nach den Ge-
setzen zugelassene Beschwerde an die höhere
Verwaltungsbehörde ergreife, gegen den Straf-
bescheid binnen einer Woche nach der Bekannt-
machung bei der Verwaltungsbehörde, welche
denselben erlassen, oder bei derjenigen, welche
ihn bekanntgemacht hat, auf gerichtliche Ent-
scheidung antragen könne. Er wirtt in betreff
der Unterbrechung der Verjährung wie eine
richterliche Handlung. Wird auf gerichtliche
Entscheidung angetragen, so übersendet die Ver-
waltungsbehörde, falls sie nicht den Straf-
bescheid zurücknimmt, die Akten an die zu-
ständige Staatsanwaltschaft, welche sie dem Ge-
richte vorlegt. In betreff der Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand finden die Bestimmungen
entsprechende Anwendung, welche nach dem
#5 455 St PO. bei der Versäumung der Frist
zu dem Antrage auf gerichtliche Entscheidung
gegenüber einer polizeilichen Strafverfügung
gelten. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung
ist bei der Verwaltungsbehörde, de den Be-
scheid erlassen oder bekanntgemacht hat, schrift-
lich oder mündlich, persönlich oder durch einen
v. Bitter, Handwörterbuch der preußischen Berwaltung. 2. Aufl. II.
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Vertreter— der Antrag kann auch vom Verteidiger
gestellt werden (R#t.36, 90)— anzubringen, und
im Falle mündlicher Anbringung behufs Feststel-
lung seiner Rechtzeitigkeit durch ein Protokoll oder
eine Registratur zu beurkunden. Ist er binnen
einer Woche angebracht, so verliert der Straf-
bescheid seine rechtliche Bedeutung (Vf. vom
4. Mai 1905 — Mhl. 165), und es wird zur
Hauptverhandlung vor dem zuständigen Ge-
richte, d. i. nach Verschiedenheit der Fälle (G G.
§8 27 Ziff. 1 u. 2, 73 Ziff. 1) dem Schöffen-
gerichte oder der Strafkammer — wegen Über-
weisung an das Schöffengericht s. § 75 Abs. 1
Ziff. 15 und Abs. 4 GVG. — geschritten, ohne
daß es der Einreichung einer Anklageschrift oder
einer Entscheidung über die Eröffnung des
Hauptverfahrens bedarf. Bis zum Beginne
der Hauptverhandlung kann der Antrag zurück-
genommen werden. Das gerichtliche Verfahren
regelt sich im übrigen, abgesehen von den in den
§§ 467—469 StPPO. bestimmten Besonder-
heiten (s. u.), nach den allgemeinen Vorschriften,
welche für das befaßte Gericht im Falle einer
erhobenen öffentlichen Klage maßgebend sind.
Insbesondere hat die Staatsanwaltschaft mit-
zuwirken und ist die Anwesenheit des Beschul-
digten in der Hauptverhandlung notwendig in
gleicher Weise, wie in jenem Falle. — Ist die
in einem vollstreckkbaren Strafbescheide fest-
gesetzte Geldstrafe (vgl. wegen deren Beitreibung
Erl. vom 4. Mai 1905 — MBl. 165) von dem
Beschuldigten nicht beizutreiben und
deshalb ihre Umwandlung in eine Frei-
heitsstrafe erforderlich, so ist diese Umwandlun
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft durch
gerichtliche Entscheidung auszusprechen, ohne
daß der Strafbescheid einer Prüfung des Ge-
richts unterliegt. Die Entscheidung über die
Umwandlung erfolgt, wenn für eine Urteils-
fällung das Schöffengericht zuständig gewesen
wäre, durch Verfügung des Amtsrichters, in
den übrigen Fällen durch Beschluß des Land-
gerichts. Ortlich zuständig ist dasjenige Gericht,
welches im Falle eines rechtzeitig angebrachten
Antrags für die Hauptverhandlung zuständig
gewesen wäre. Gegen die Entscheidung steht
der Staatsanwaltschaft und dem Beschuldigten,
nicht auch der Verwaltungsbehörde, die so-
fortige Beschwerde zu. Wegen der Kosten im
V. s. Z. vom 26. Juli 1897 88 45 ff. Auf die
Berufstätigkeit der Rechtsanwälte im V. findet
die deutsche Gebührenordnung für Rechtsanwälte
entsprechende Anwendung (G. vom 21. März
1910 — GS. 31 — Art. 2 Ziff. 6).
III. Von dem V. ist der Fall zu unterscheiden,
daß die Verwaltungsbehörde keinen Straf-
bescheid erlassen hat und die Staatsanwalt-
schaft den an sie gerichteten Antrag auf Ver-
folgung ablehnt. In einem solchen Falle ist
nach § 464 St PO. die Verwaltungsbehörde
befugt, selbst die Anklage zu erheben. Sie hat
dabei einen Beamten ihres Verwaltungszweigs
oder einen Rechtsanwalt als ihren Vertreter
zu bestellen und in der Anklage namhaft zu
machen. Die Staatsanwaltschaft bleibt aber zu
einer Mitwirkung in jeder Lage des Verfahrens
berechtigt. Sie muß bei der Hauptverhandlung
vertreten sein; auch hat sie die gerichtlich an-
geordneten Ladungen zu derselben zu bewirken.
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