Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Zweiter Band (L-Z). (2)

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klärung derselben die von der Gegenpartei vor- 
gebrachten Tatsachen für zugestanden erachtet 
werden können (879 Satz 2). Neben der Offizial- 
tätigkeit des Gerichts selbst ist auch noch sonst 
dafür Sorge getragen, daß das öffentliche Inter- 
esse an der richtigen und gleichmäßigen Ent- 
scheidung zu seinem Rechte kommt. Eine Staats- 
anwaltschaft, wie sie für Bayern zur Vertretung 
der öffentlichen Interessen bei dem Verwal- 
tungsgerichtshofe und bei den Regierungsfinanz- 
kammern im verwaltungsrechtlichen Senate be- 
steht (bayr. G. über die Errichtung eines Ver- 
waltungsgerichtshofs und das Verfahren in 
Verwaltungsrechtssachen vom 8. Aug. 1878 Art. 4, 
5, 41, 42, 50; bayr. G. über die Erbschafts- 
steuer vom 18. Aug. 1879/11. Nov. 1899 Art. 37, 
38; bayr. G. über das Gebührenwesen vom 
18. Aug. 1879/11. Nov. 1899 Art. 247 (211)), 
gibt es jedoch in Preußen nicht. Das V. ist nie- 
mals obligatorisch, setzt vielmehr die vom freien 
Willen abhängige Erhebung einer Klage mit 
gewissen Formen voraus, die regelmäßig bei 
dem zuständigen Gerichte — teilweise binnen 
einer bestimmten Frist, beim Mangel einer 
anderweitigen gesetzlichen Vorschrift einer sol- 
chen von zwei Wochen, bei deren Versäumung 
das Klagerecht verloren geht (LVG. 8 52) — an- 
zubringen ist. In gewissen Fällen wird die Klage 
durch den Antrag auf mündliche Verhandlung im 
V. ersetzt, der alles enthalten muß, was für den 
Klagantrag, d. i. hier die Klagschrift, erfordert ist, 
soweit es sich nicht aus den Vorverhandlungen 
bei der Behörde ergibt (§ 69 Abs. 2). Ihrem 
Inhalte nach kann die Klage eine Leistungs-, 
Rechtsgestaltungs- (Anfechtungs-) oder Feststel- 
lungsklage sein. 
Umständen möglich. Ofter ist die Klage nicht 
sofort, sondern erst zulässig, nachdem die Be-r 
hörde, um deren Vorgehen es sich handelt, durch 
ihre Anrufung (Einspruch oder Beschwerde, 
welches letztere Wort im uneigentlichen Sinne 
zu verstehen ist, z. B. 3G. S#§ 46, 56, 66) Ge- 
legenheit und Anlaß zur nochmaligen Prüfung 
erhalten hat. Ausnahmsweise findet sie erst nach 
eigentlicher Beschwerde bei der höheren Be- 
hörde oder wahlweise mit einer solchen statt (LV G. 
§5 127 ff.). Unter gewissen Voraussetzungen 
kann“ auf die Klage sofort durch einen Bescheid 
(sog. Vorbescheid) entschieden werden (§ 64). Im 
andern Falle ist eine Gegenerklärung vom Be- 
klagten zu erfordern (§ 65), die wie alle Schrift- 
sätze im V. nicht bloß von vorbereitender, son- 
dern von bestimmender Natur ist; nach deren 
Eingang oder nach dem Ablaufe der Frist für sie 
ist nochmals die Möglichkeit des Bescheides (Vor- 
bescheides) gegeben (§67). Für die Klage und die 
Gegenerklärung sowie für die etwaigen sonstigen 
Schriftstücke gilt, daß die als Beweismittel in 
Bezug genommenen Urkunden im Original oder 
in Abschrift beizufügen und von ihnen und 
ihren Anlagen Duplikate einzureichen sind. Das] Von den Kosten des V 
Gericht kann jedoch geeignetenfalls gestatten, 
daß statt der Einreichung von Duplikaten die An- 
lagen selbst zur Einsicht der Beteiligten in seinem 
Geschäftslokal ossengelegt werden (§ 66). Besteht 
auch nach dem Schriftwechsel die Möglichkeit eines 
Bescheides (Vorbescheides) nicht, oder erscheint 
es nicht angemessen, davon Gebrauch zu machen, 
so ist, falls nicht die Parteien ausdrücklich auf! 
  
  
Auch eine Widerklage ist unter 
eine weitere mündliche Verhandlung anzube- 
  
  
Verwaltungsstreitverfahren 
mündliche Verhandlung verzichtet haben (8 60), 
eine solche anzuberaumen und sind die Par- 
teien hierzu zu laden unter der Verwarnung, 
daß bei ihrem Ausbleiben nach Lage der Ver- 
handlungen werde entschieden werden, jedoch 
auch mit der Befugnis des Gerichts, zur Auf- 
klärung des Sachverhältnisses das persönliche 
Erscheinen einer Partei anzuordnen. Dabei 
steht den Parteien frei, ihre Erklärungen, auch 
ohne dazu besonders aufgefordert zu sein, vor 
dem Termine schriftlich einzureichen und zu 
ergänzen. Das Duwplikat solcher Erklärungen 
ist der Gegenpartei zuzufertigen. Kann das 
nicht mehr vor dem Termine zur mündlichen 
Verhandlung bewirkt werden, so ist ihr wesent- 
Scher Inhalt in dieser Verhandlung mitzuteilen 
(5 68 Abs. 3). Wo nach dem Gesetze die Klage 
durch einen Antrag auf mündliche Verhandlung 
im V. ersetzt wird, erfolgt ohne weiteres die 
Vorladung der Parteien zu derselben (§ 69 
Abs. 1). Dies gilt selbst dann, wenn der Antrag 
formell oder materiell unzulässig erscheint. Hier- 
über kann immer nur nach mündlicher Verhand- 
lung entschieden werden. Cs ist also auch ein Be- 
scheid (Vorbescheid) nicht statthaft. Auf Grund der 
mündlichen Verhandlung (LVG. 8§ 71, 72, 74) 
kann ein Beweisbeschluß ergehen auf Erhebung 
des für notwendig oder, hat schon vorher eine 
Beweisaufnahme stattgefunden, des noch weiter 
für notwendig erachteten Beweises. UÜber den 
Beweis im V. hat das LVG. nur die wenigen 
Bestimmungen in den §§ 76—78. Für den 
Beweisbeschluß ist kein besonderer Inhalt vor- 
geschrieben; der Natur der Sache nach muß er 
aber den Beweisgegenstand und die Beweismittel 
erkennen lassen. Nach seiner Erledigung ist 
raumen. Ist kein Beweis mehr erforderlich 
oder ist dieser in der mündlichen Verhandlung 
selbst erhoben worden, so ergeht das nicht bloß 
der sog. formellen, sondern auch der sog. mate- 
riellen Rechtskraft fähige Urteil. Dieses ist in 
Streitsachen, für welche § 21 GewO. maßgebend 
ist, stets (LV G. § 157 Ziff. 1), sonst der Regel 
nach in öffentlicher Sitzung zu verkünden; er- 
folgt die Verkündung nicht in öffentlicher Sitzung, 
so genügt die Zustellung. Eine mit Gründen 
versehene Ausfertigung des Urteils ist den Par- 
teien und, sofern ein besonderer Kommissar zur 
Wahrnehmung des öffentlichen Interesses be- 
stellt war (§ 74 Abs. 2), gleichzeitig auch diesem 
zuzustellen (§ 80). Die Rechtsmittel im B., 
bei denen die Unzulässigkeit einer relormatio? 
in pejus besteht, sind die Berufung (63 82—92)9, 
die Revision (§§ 93—99) und die Beschwerde 
(§§8 110, 111). Außerdem gibt es noch die Wieder- 
aufnahme des Verfahrens gegen die ergangenen 
rechtskräftig gewordenen Urteile (§ 100) und die 
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen 
die Versäumung prühlusiwilcher Fristen (§ 112). 
u. handeln die §§ 102 
bis 109 und die dazu ergangenen Vf. und Tarife 
vom 27. Febr. 1884 (Ml. 30) und vom 8. Dez. 
1905 (HMl. 338) sowie die Bestimmungen 
vom 17. Jan. 1905 (MBl. 23). Auf die Be- 
rufstätigkeit der Rechtsanwälte im V. findet dic 
Deutsche Gebührenordnung für Rechtsanwälte 
entsprechende Anwendung (G. vom 21. März 
1910 — G. 261 — Art. 2 Ziff. 3); vgl. hierzu
	        
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