Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Zweiter Band (L-Z). (2)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 
der gesetzlichen Vorschriften bestimmt und nach 
dem Gesetze mit Ausschlußwirkung versehen sind. 
Auch gegen die Versäumung der Wiederein- 
setzungsfrist kann die W. i. d. v. S. gewährt werden. 
Gegen Nichtwahrnehmung eines Verhandlungs- 
termins gibt es keine W. i. d. v. S. Als unab- 
wendbarer Zufall ist es anzusehen, wenn der An- 
tragsteller von einer Zustellung ohne sein Ver- 
schulden, d. h. ohne das der Partei selbst oder ihres 
Bevollmächtigten, keine Kenntnis erlangt hat. 
Über den Antrag entscheidet das Gericht, dem die 
Entscheidung über die versäumte Streithandlung 
usteht, selbständig; Zustimmung oder Wider- 
spruch des Gegners ist unerheblich. Die ver- 
säumte Streithandlung ist unter Anführung der 
Tatsachen, mittels deren der Antrag auf Wieder- 
einsetzung begründet werden soll, sowie der Be- 
weismittel innerhalb zwei Wochen nachzuholen. 
Der Lauf der Frist beginnt mit dem Ablaufe des 
Tages, mit welchem das Hindernis gehoben ist. 
Nach Ablauf eines Jahres von dem Tage der ver- 
säumten Frist an gerechnet findet die Nachholung 
der versäumten Streithandlung bzw. der Antrag 
auf Wiedereinsetzung nicht mehr statt. Die durch 
Erörterung des Antrags auf WViedereinsetzung 
entstehenden baren Auslagen trägt in allen 
Fällen der Antragsteller. Ein unabweisbarer 
Zufall für die Partei ist zwar in einem Ver- 
sehen der Post bei Bestellung von Briefen, nicht 
aber ohne weiteres in einer Fristversäumnis eines 
Vertreters (OVG. 41, 458 und im Pr l. 
26, 390) und nicht in einem Rechtsirrtum, selbst 
nicht, wenn er durch eine irrtümliche Belehrung 
über die zulässigen Rechtsmittel veranlaßt wor- 
den ist (OV G. 54, 422), oder darin gefunden 
worden, daß ein an unzuständiger Stelle einge- 
reichter Schriftsatz von dieser nicht rechtzeitig an 
die zuständige Behörde abgegeben worden ist. 
Wenn es sich um eine versäumte Rechtsmittel- 
frist handelt, hat über den Antrag aus Wieder- 
einsetzung nicht das Gericht, bei welchem die An- 
meldung und Rechtfertigung des Rechtsmittels 
erfolgt, sondern bei der Entscheidung über das 
Rechtsmittel das hierzu berufene Gericht zu be- 
finden. Wegen der Beschwerde gegen die Ver- 
sagung der W. i. d. v. S. s. O# G. 57, 514; 
eine weitere Beschwerde ist unzulässig. Da die 
Innehaltung der Fristen von Amts wegen zu 
prüfen ist, so ist der Revisionsrichter zur Nach- 
prüfung der durch den Berufungsrichter er- 
teilten Wiedereinsetzung und der in den Vor- 
instanzen vorgebrachten tatsächlichen Voraus- 
setzungen zuständig (OV G. im Pr BBl. 25, 764). 
Der § 112 kommt zwar auch in denjenigen Ver- 
waltungsstreitsachen zur Anwendung, in welchen 
der § 20 GewO. zu beachten ist, nicht aber bei 
der Berufung im armenrechtlichen Streitverfah- 
ren unter AV. (BA. 22, 169) und im Diszi- 
plinarverfahren auf Entfernung aus dem Amte 
(LVG. § 157 Ziff. 2 u. 3; O G. 12, 432). In 
den Angelegenheiten der sozialpolitischen Ver- 
sicherungsgesetzgebung ist nach der Praxis des 
RA. die W. i. d. v. S. gegen die Versäumung 
einer Rechtsmittelfrist (Notfrist, z. B. Berufungs-, 
Rekursfrist usw.) gegeben. An eine bestimmte 
Frist ist der Antrag nicht gebunden, er darf aber 
nicht ungebührlich verzögert werden. Wieder- 
einsetzungsgründe sind: störende Naturereignisse, 
unabwendbare Zufälle oder ähnliche, außerhalb 
  
  
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des Willens der Parteien liegende (objektive) 
Hinderungsgründe, z. B. Willensunfähigkeit in- 
folge geistiger oder körperlicher Krankheit usw., 
nicht aber Lesens= und Schreibens= oder Gesetzes- 
unkunde. Nach den Bestimmungen zur Aus- 
führung des Kalisalzgesetzes vom 9. Juli 1910 
(RE#Bl. 925) zum VI. Abschnitte Ziff. 29 fin- 
den, wenn die Frist zur Einlegung der Be- 
schwerde gegen die Entscheidungen der Ver- 
teilungsstelle versäumt ist, die Vorschriften der 
ZPO-über die W. i. d. v. S. entsprechende 
Anwendung. Gemäß § 45 Abs. 2 des Zuwachs- 
steuergesetzes (RG Bl. 1911, 33) sind verspätete 
Beschwerden zuzulassen, wenn die Steuerbehörde 
zu der Annahme gelangt, daß der Beschwerde- 
führer ohne sein Verschulden verhindert war, 
die Frist einzuhalten. Im Patentgesetze fehlt 
eine Bestimmung über die W. i. d. v. S. 
VII. Außerhalb des Verwaltungsstreitver- 
fahrens nach dem LVG. ist für die Verwaltungs- 
sachen innerhalb des Gebiets der allgemeinen 
Landesverwaltung die W. i. d. v. S. zugelassen 
gegen die Versäumung der Frist für die An- 
bringung einer ersten oder weiteren Beschwerde 
sowie anderer an präklusivische Fristen gebunde- 
ner Rechtsbehelfe, insbesondere auch des Ein- 
spruchs (OV G. 35, 138; 49, 155), in sehr freier 
Weise, indem die angerufene Behörde, d. i. die 
zur sachlichen Beschlußfassung über die Beschwerde 
berufene, sie in allen Fällen unverschuldeter 
Fristversäumung gewähren kann (LVG. 8 52 
Abs. 2), und zwar ohne daß dem später mit der 
Sache befaßten Verwaltungsrichter eine Nach- 
prüfung darüber zusteht, ob die Fristversäumnis 
mit Recht als unverschuldet angesehen worden ist 
(O#. ö4, 307). Es wird angenommen, daß hier 
die Wiedereinsetzung auch stillschweigend und ohne 
Antrag dadurch gewährt werden kann, daß ein 
sachlicher Bescheid ergeht (OG. 21, 244; 
30, 294; 35, 136); Voraussetzung ist dabei aber, 
daß die Fristversäumnis erkannt worden war. 
Daneben gibt es noch einzelne besondere Vor- 
schriften über die W. i. d. v. S. So ist sie 
ausgeschlossen im § 16 Abs. 2 des G. über die 
Naturalleistungen für die bewaffnete Macht 
im Frieden vom 24. Mai 1898/9. Juni 1906 
(Rul. 1898, 361; 1906, 735), dagegen kann 
sie nach § 24 Abs. 4 des G., betr. die Be- 
kämpfung übertragbarer Krankheiten, vom 
28. Aug. 1905 (GS. 373) bei unverschuldeter 
Versäumnis der Frist für den Antrag auf Ent- 
schädigung für vernichtete oder infolge der Des- 
infektion beschädigte Gegenstände von der Orts- 
polizeibehörde gewährt werden. In Staats- 
einkommen-- und Ergän zungs- 
steeuersachen kann W. i. d. v. S. beantra- 
gen, wer durch Naturereignisse oder andere un- 
abwendbare Zufälle verhindert worden ist, die 
Fristen zur Einlegung des Einspruchs, der Be- 
rufung oder Beschwerde einzuhalten. Als un- 
abwendbarer Zufall gilt es, wenn der Antrag- 
steller von einer Zustellung ohne sein Verschulden 
keine Kenntnis erlangt hat. Das versäumte 
Rechtsmittel ist unter Anführung der den An- 
trag auf W. i. d. v. S. begründenden Tatsachen 
und der Beweismittel innerhalb zwei Wochen 
nach Ablauf des Tages, mit dem das Hindernis 
gehoben ist, nachzuholen. Nach Ablauf eines 
Jahres, vom Ende der versäumten Frist an ge-
	        
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