92 1I. 6. Der Kutturkampf von 1873 bis Ende 1874.
Geistlichen“. Dieser Entwurf sollte nur den verschiedenen Auslegungen des Gesetzes,
welche sogar zu widerstreitenden Urteilssprüchen geführt hatten, ein Ende machen und
den Oberpräsidenten die Besugnis geben, nach Erledigung eines geistlichen Amtes die
Beschlagnahme des Vermögens dieser Pfarre unter gewissen Voraussetzungen zu ver-
sügen. Gleichwohl gab auch dieses Gesetz den Ultramontanen schon Anlaß zu den
schönsten Redeblüten, die wir jedoch hier ungepflückt lassen wollen bis auf eine Mallinck-
rodts. Unter Hinweis auf das starke Anwachsen des Zentrums bei den Wahlen rief er
nämlich: „Wollen Sie hierin nicht den wirklichen Willensausdruck des Volkes sehen, so
werfen Sie doch lieber alle parlamentarische Vertretung und Verfassung gleich in die
Numpelkammer, verkünden Sie die Diktatur und nennen das Kulturkampf!““ Durch
die Nationalliberalen (Antrag Wehrenpsennig) wurde der mildere Antrag eingebracht,
daß die Stellvertretung oder Neubesetzung erledigter geistlicher Stellen durch den
Kirchenpatron erfolgen oder, falls dieser sein Recht innerhalb gewisser Fristen nicht
ausübe, seine Befugnisse auf die Pfarrgemeinde übergehen sollen. Aber auch dagegen
eiferte das Zentrum, natürlich, denn schon irgend ein „Necht“ der Pfarrgemeinde
mußte der katholischen Fraktion unheimlich erscheinen. Und doch galten alle diese Be-
stimmungen seit Jahren in Bayern, Württemberg und Baden, ohne daß die Geistlich-
keit dort im geringsten über Beschränkung ihrer Gewissensfreiheit klagte. Am 9. Mai
wurde das Gesetz in dritter Lesung vom Abgeordnetenhause angenommen.
Wichtiger noch war das im Abgeordnetenhause am 20. Jamauar eingebrachte
Gesetz über die Verwaltung erledigter Bistümer. Denn inzwischen hatte der
Kulturkampf im römischen Sinne des Wortes, d. h. die ossene Empörung gegen die
Gesetzgebung und Ordnung des Staates, zur Erledigung mehrerer preußischer Bischofs-
sitze geführt und die baldige Erledigung anderer Bistümer stand mit Sicherheit zu
erwarten. Seit einigen Monaten schon war durch den Tod des Bischofs Kött von
Fulda die Frage brennend geworden, in welcher Weise die erledigten Bistümer zu ver-
walten seien. Dem Domkapitel fiel es gar nicht ein, eine Neuwahl in den gesetzlich
vorgeschriebenen Formen vorzunehmen, d. h. der Regierung den Kandidaten für den
Bischofsstuhl zu nennen, damit die Regierung von ihm die eidliche Anerlennung der
Staatsgesetze sordere. War aber der Bischof vom Staate durch den königlichen geist-
lichen Gerichtshof in Berlin abgesetzt, so galt den ultramontanen Katholiken die Stelle
überhaupt nicht für verwaist und eine Wiederbesetzung derselben konnte also gar nicht
in Frage kommen. Unter keinen Umständen konnte und sollte der Staat Bischöse
eingesetzt sehen, welche willens waren, die Staatsgesetze zu achten. Das nannte sich
„Gottes Ordnung und die Kirche Jesu Christil“ Dem Exzbischof von Posen, Grasen
Ledochowski, war schon seit Oktober 1873 der Gehalt gesperrt, weil er alte neuen
Geistlichen ohne Anzeige anstellte. Da ihm der polnische Adel diese Verluste reichlich
ersetzte, blieb er im Amt und fuhr sort, dem Staate zu trotzen. Die Aufforderung
des Oberpräsidenten Günther, sein Amt freiwillig niederzulegen, wies er störrisch zu-
rück. Darans wurde das Verfahren wegen Amtsentsetzung gegen ihn eingeleitet, er
aber weigerte sich, vor dem mit der Vornntersuchung beanstragten Kreisgericht Po-
sen zu erscheinen. Die Varmittel für die ungehenren verwirkten Strassummen