Der erste Entwurf eines Soziatistengesetzes. 271
dehnbare Bestimmungen, wie dieser Entwurf sie enthielt, war freilich eine Mehrheit im
Reichstag nicht zu gewinnen. Namentlich war § 1 anstößig, welcher lautete:
„Druckschriften und Vereine, welche die Ziete der Sozialdemokratie verfolgen, ktönnen vom
Bundesrat verboten werden. Das Verbot ist öffentlich bekaunt zu miachen und dem Reichstag
sofort oder, wenn derselbe nicht versammelt ist, bei seinem nächsten Zusammentritt mitzuteilen.
Das Verbot ist außer Kraft zu setzen, wenn der Reichstag dies verkangt.“
Mit Recht machte Bennigsen gegen diese Fassung geltend, daß zu den „Zielen“
der Sozialdemokratie zum Teil ganz berechtigte Bestrebungen mit gehörten, wie
Arbeiterschutz und die Wünsche betreffs der Sozialpolitik des Staates, der Ge-
meinden 2c. Sogar auf die ernstesten wissenschaftlichen Erörterungen könne der § 1
Anwendung sinden. Ferner aber sei der Bundesrat eine durchaus ungeeignete Be-
hörde für die ihm vom Entwurfe zugedachte verbietende Nolle und Thätigkeit, da der
Bundesrat nur während eines Teiles des Jahres versammelt sei, und da dessen Mit-
glieder an die Instruktionen ihrer einzelnen Regierungen gebunden seien. Eine der-
artige Behörde könne unmöglich ein solches Gesetz handhaben. Ebenso bedenklich aber
sei die dem Neichstag zugeteilte Nolle. Eine Versammlung von 400 Personen solle
über jede Beschlagnahme 2c. befinden. In welcher Weise: im Plenum oder in einer
Kommission? darüber sage der Entwurf nichts. Und was solle geschehen, wenn
Bundesrat und Reichstag verschiedener Meinung wären? Das würde doch einen
höchst verderblichen Eindruck hervorrufen, welcher allein der Sozialdemokratie förder-
lich sein könne.
Den Ernst und das Gewicht dieser Bedenken hat die Regierung später dadurch
indirelt anerkannt, daß sie, selbst einem viel gefügigeren Neichstag gegenüber, einen
solchen Paragraphen, wie den von Bemigsen bekämpften, nicht mehr vorzulegen
wagte. Dagegen war Bemigsen und die Mehrheit der nationalliberalen Partei in einer
verhängnisvollen Täuschung begriffen, wenn sie meinten, die Sozialdemokratie lasse
sich nur auf dem Boden des gemeinen Rechtes mit Erfolg bekämpfen, und es dürfe
kein „Ausnahmegesetz“ erlassen werden. Vor allem aber war es ein schwerer Fehler
des nationalliberalen Führers und seiner Parteigenossen, der Negierung die von dieser
verlangten außerordentlichen Vollmachten und Waffen gegen die Sozialdemokratie aus
politischen Gründen zu verweigern. „Der Negierung dürfe man diltatorische Gewalt
mu einräumen, wenn man wisse, wer sie ausübe; namentlich dann, wenn man die
Gesahr nicht sehe, welche cine Diktatur erheische“, sagte Herr von Bennigsen. Das
war ein schwerer politischer Fehler, welcher sich an der nationalliberalen Partei selbst
am fühlbarsten rächte, wie Gneist (selbst Mitglied der Partei) in einer glänzenden Nede
für den Entwurf scharfsinnig vorhersagte. Aus den Neihen der Konservativen sprachen
hauptsächlich von Helldorf-Bedra und Feldmarschall Graf Moltle für das Gesetz. Aber
auch sie vermochten diesen Entwurf nicht zu retten, und Bismarcks vermittelnder Sinn
fehlte leider in der Sumde der Entscheidung. Am 24. Mai wurde der Entwurf mit
241 gegen 57 Stimmen abgelehnt und am nämlichen Tage der Reichstag geschlossen.
Die sozialdemokratische Fraktion war, bei der offenkundigen Stimmung der großen
Mehrheit des Neichstags, der Ablehnung sicher gewesen, und so hakte sie sich mit der