322 II, 2. Bismarcks Wirtschaftöpolitil inn Reichstag 1879. Politische Folgen.
führen wolle. Wie wenig Fürst Bismarck selbst übrigens diesen Vorgang, der in der
nationalliberalen Partei die tiessten Zerwürfnisse und Verstimmungen hinterließ, für
seine Person tragisch nahm oder der Partei nachtrug, das bewies eine Außerung des
Fürsten um Mitte März (Poschinger a. a. O., S. 208). Da verwahrte er sich in ver-
traulichen Kreisen gegen die Absicht, den Neichstag aufzulösen. Denn er könne auch
mit diesem Neichstag seine Zoll= und Steuerpolitik im wesentlichen durchführen. „Er
hoffe mit Hilfe der liberalen Abgeordneten, vornehmlich des Herrn von Bennigsen,
ein Kompromiß durchzusetzen. Wenn er auch prinzipiell auf seinem Programm be-
stehe, so lasse er doch in einzelnen Teilen mit sich handeln“.
Inzwischen hatte die im Dezember unter Bismarcks Mitwirkung vom Vundes-
rat niedergesetzte Tarifkommission auf Bismarcks Verlangen am 25. Februar auch
die Vorberatung der reinen Finanzzollartikel (Petrolemm, Wein, Kassee, Thee, Süd-
früchte) vom Bundesrat überwiesen erhalten, so daß eine abgesonderte, frühere Be-
ratung dieser Finanzartikel im Reichstag vor dem Zolltarifgesetz unmöglich gemacht
wurde. Nur die Erhöhung der indirekten Steuern aus den gemeinsamen Verbrauchs-
gegenständen (Tabak, Bier, Branntwein) sollte ohne Mitwirkung der Tarifkommission
sofort nach Fertigstellung der Vorlage an den Bundesrat gelangen. Die Tariskom-
mission beschloß nun am 26. Februar die Einführung von Getreide= umd Viehzöllen,
weiter Holz-, Kohlen-, Eisen= und Kupferzölle, und hielt diese Beschlüsse auch in zweiter
Lesung am 26. März aufrecht. Ihre Arbeit war damit beendet. Die Getreidezölle
sollten betragen: für Roggen, Mais und Gerste 25, für Weizen, Hafer und Hülsen-
früchte 50 Pfeunig vom Zentner. Schon am 3. April erteilte der Bundesrat dem von
der Tariskommission ausgearbeiteten Zolltarisentwurf seine Zustimmung, indem er
auf Wunsch Bismarcks davon absah, den Entwurf zuvor erst noch der Prüfung der
Bundesratsausschüsse zu unterziehen. Nur wurde auf Antrag des Reichskanzlers be-
schlossen, noch eine Bestimmung in den Entwurf aufzunehmen, welche den Bundesrat
ermächtigte, die Wareneingänge aus Staaten, welche ihrerseits die deutsche Einfuhr
übermäßig oder ungünstig belasten, mit den doppelten Zollsätzen zu belegen. Sodaun
wurden im Bundesrat kurze Motive zu der Zollvorlage ausgearbeitet.
Am nämlichen Tage, da der Bundesrat diesen wichtigen Beschluß faßte, am
3. April, vertagte sich der Neichskag bis zum 28. April, um seinen Mitgliedern Zeit
zu geben, sich mit den Regierungsvorlagen des Zolltarifs, der Tabals= und Vrau-
steuer und mit der Stimmung der Wähler bekannt zu machen, den Führern aber zu
Verhandlungen mit den Führern der anderen Parteien und mit dem Neichskanzler.
Die Zolltarisvorlage enthielt also nun sowohl die Finanz- als die Schutzzölle,
und mur die Konservativen waren entschlossen, für beide einhellig zu stimmen. Das
Zustandelommen der Zolltarif= und der Tabakssteuerworlage hing demnach zur Zeit
von der Cntscheidung der Nationalliberalen und des Zentrums ab, da mur eine dieser
Parteien mit den Konservativen zusammen die Mehrheit im Reichstag bildete. Die
größere Hälfte der Nationalliberalen, unter Bennigsens Führung, war gewillt, für
die Finanzzölle und die Tabakssteuer an der Seite der Konservativen zu stimmen gegen
Gewähr gewisser konstitutioneller Vorbehalte, da mit der außerordentlichen