III. Abschnitt: Die Reichsgesetzgebung. 77
bis eine bindende Norm vom Bunde ausgegangen ist (Schlußprotokoll
mit Bayern vom 23. November 1870, Abschnitt VI). Dies gilt als allgemeine
Regel auch bezüglich der anderen Bundesstaaten.
Würde ein Landesgesetz erlassen, das im Widerspruch mit einem
Reichsgesetz stünde, so hätte der Kaiser das Recht, ebenso auch der
Reichskanzler, die Einzelregierungen zur Aufhebung zu veranlassen,
eventuell die Anwendung des Art. 7, Abs. 3, bezw. schließlich Art. 19
der Reichs-Verfassung herbeizuführen.
Ueber die Frage, ob und inwieweit ein Wiederspruch zwischen
Landesgesetz und Reichsgesetz vorliegt, entscheidet im konkreten Falle
den Parteien gegenüber der Richter, andernfalls der Bundesrat gemäß
7, Ziff. 3 der Reichs-Verfassung.
Bei einem Eingreifen der Neichsgesetzgebung in bestehende Rechte
und Rechtsverhältnisse hat, wenn eine Entschädigung gesetzlich zuerkannt
ist, solche das Reich zu leisten (siehe z. B. § 30 des Gesetzes
betr. Erhebung von Reichsstempelabgaben vom 1. Juli 1881, S. 185).
Ausnahmsweise ist die Entscheidung über die Leistung und
eventuell des Maßes der Entschädigung den Landesgesetzen anheim-
gegeben (z. B. Strandungs-Ordnung vom 17. Mai 1874 §F 35,
Abs. 4, S. 73). Ausnahmsweise ist aber auch schon ausdrücklich
bestimmt worden, daß solchenfalls Entschädigungen nicht gewährt werden
G. B. Gesetz betreffend die Schließung und Beschränkung der öffent-
lichen Spielbanken vom 1. Juli 1868 § 3, S. 367).
VII. Der Geltungsbereich der Reichsgesetze.
Die Reichsgesetze gelten nicht blos, wie bei strenger Auslegung
des Art. 2 der Reichs-Verfassung gemeint sein könnte, innerhalb des
Bundesgebietes im Sinne des Art. 1 der Reichs-Verfassung, sondern
sie gelten auch über dieses Gebiet hinaus. Siehe z. B. 8§ 4 des Straf-
Gesetzbtuches und die sämtlichen das Seerecht und die Seeschiffe
betreffenden Reichsgesetze und endlich die Gesetze betreffend die Schutz-
gebiete Deutschlands.
Die Geltung der Reichsgesetze tritt für das ganze Territorium,
auf das es sich erstreckt, ipso jure ein und bedarf namentlich nicht
der Vermittlung der Landesregierungen. Die Reichsgesetze sind also
für alle Behörden und Unterthanen des Reiches unmittelbar
indend.
VIII. Die Vollziehung der Reichsgesetze.
Für den richtigen Vollzug der Reichsgesetze sind die Vollzugs-=
organe des Reiches bestellt und zunächst verantwortlich. Garantien
hiefür find in den jeweils geltenden Disziplinargesetzen (s. auch Reichs-
Verfoffung Art. 18) und in den Strasgesetzen gegeben (1 auch Reichs-
Verfassung Art. 19, 23, 74, 75, 78).