Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

VII. Abschnitt: Die Behördenorganisation des Reiches. 147 
Reichstag nach Art. 23 der Reichs-Verfassung das Recht, an ihn ge- 
richtete Petitionen dem Reichskanzler zu überweisen (Sten. Ber. 186 7II, 
S. 376, 393; 1869, S. 401). 
Diese Verantwortlichkeit bezieht sich jedoch nur auf die formale 
Seite und auf die Richtigkeit des publizierten Textes der gesetzgeberischen 
Akte, nicht auch auf den materiellen Inhalt. Anordnungen und Ver- 
fügungen des Kaisers, die rein militärischer bezw. maritimer Natur, 
d. h. Befehle des Kaisers als Bundesfeldherr oder als Chef der Marine 
sind, bedürfen der Gegenzeichnung des Reichskanzlers nicht (Sten. Be- 
richt 1867 1I, S. 139, 140, 142, 303). 
Eine Aufzählung aller an die persönliche Stellung des Reichs- 
kanzlers geknüpften Rechte und Obliegenheiten wäre hier zwecklos, da 
fast jedes umfassende Gesetz eine diesbezügliche Bestimmung enthält. 
Hervorzuheben ist hier nur, daß durch ihn die gegenseitige Korrespondenz 
zwischen Kaiser, Bundesrat und Reichstag geführt wird (Reichs-Verfass. 
Art. 16), daß ihm durch viele Reichsgesetze die Ermächtigung erteilt ist, 
Verordnungen mit Gesetzeskraft zu erlassen und daß er über die Ver- 
wendung aller Einnahmen des Reiches dem Bundesrat und dem 
Reichstage zur Entlastung jährlich Rechnung zu legen hat (Reichs-Ver- 
fassung Art. 72). 
2. Die Stellvertretung des Reichskanzlers. 
Als Vorsitzender und Geschäftsleiter (Sten. Ber. 1878, S. 342) 
des Bundesrates kann sich der Reichskanzler durch jedes andere Mit- 
glied des Bundesrates vermöge schriftlicher Substitution vertreten lassen 
(Reichs-Verfassung Art. 15), Vergl. hiezu IX. des bayer. Schlußprotokolls). 
Allein nicht nur in dieser Richtung, sondern auch in Beziehung auf 
alle anderen Geschäftszweige ist die Notwendigkeit eingetreten, eine 
Substitution des Reichskanzlers, im Falle seiner persönlichen Verhin- 
derung (übrigens unter Wahrung des Rechtes, auch diesfalls jede 
Rechtshandlung jederzeit selbst vorzunehmen), zuzulassen. Durch das 
Gesetz vom 17. März 1878, S. 7 ist denn auch sowohl ein General- 
stellvertreter (Vizekanzler) für den gesamten Umfang der Funktionierung 
des Reichskanzlers, als auch eine Anzahl Spezial-(Ressort)-Stellvertreter 
in der Person der Vorstände der ihm unterstellten obersten Reichsbe- 
hörden mit eigener Verantwortlichkeit aufgestellt worden. Das Gesetz lautet: 
§ 1. Die zur Gültigkeit der Anordnungen und Verfügungen des 
Kaisers erforderliche Gegenzeichnung des Reichskanzlers, sowie die 
sonstigen demselben durch Verfassung und die Gesetze des Reichs über- 
tragenen Obliegenheiten können nach Maßgabe der folgenden Bestim- 
mungen durch Stellvertreter wahrgenommen werden, welche der Kaiser 
auf Antrag des Reichskanzlers in Fällen der Behinderung desselben 
ernennt. 
§ 2. Es kann ein Stellvertreter allgemein für den gesamten 
Umfang der Geschäfte und Obliegenheiten des Reichskanzlers ernannt 
werden. Auch können für diejenigen einzelnen Amtszweige, welche sich 
in der eigenen und unmittelbaren Verwaltung des Reichs befinden, die
	        
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