XI. Abschnitt.
Das Civil-Medizinal= und Veterinärpolizeiwesen.
1. Kapitel.
Die Civil-Medizinalpolizei-Gesetzgebung.
J ist laut Reichsverfassung Art. 4, Ziff. 15 Sache des
Reichs.
In genereller Weise ist auf diesem Gebiete die Reichsgesetzgebung
noch nicht vorgegangen. Dagegen ergingen nach einigen Richtungen
hin Spezialgesetze und sonstige Vorschriften zum Schutze der Gesundheit.
In erster Linie wurde das Impfwesen gesetzlich geregelt.
Das diesbezügliche Gesetz vom 8. April 1874, S. 31 beruht
auf der Grundlage des Vaccinations= und Revaccinationszwanges.
Nach § 1 soll nämlich der Impfung mit Schutz-(Kuh)-Pocken behufs
Vorbeugung gegen Blatternkrankheit unterzogen werden:
1. jedes Kind vor dem Ablaufe des auf sein Geburtsjahr folgen-
den Kalenderjahres, sofern es nicht nach ärztlichem Zeugnis
(§ 10) die natürlichen Blattern überstanden hat;
2. jeder Zögling einer öffentlichen Lehranstalt oder einer Privat-
schule, mit Ausnahme der Sonntags-- und Abendschulen, inner-
halb des Jahres, in welchem der Zögling das 12. Lebensjahr
zurücklegt, sofern er nicht nach ärztlichem Zeugnis in den letzten
5 Jahren die natürlichen Blattern überstanden hat oder mit
Erfolg geimpft worden ist.
Ein Impspflichtiger (§ 1), welcher nach ärztlichem Zeugnis ohne
Gefahr für sein Leben oder für seine Gesundheit nicht geimpft werden
kann, ist binnen Jahresfrist nach Aufhören des diese Gefahr begrün-
denden Zustandes der Impfung zu unterziehen.
Ob diese Gefahr noch fortbesteht, hat in zweifelhaften Fällen der
zuständige Impfarzt (§ 6) endgiltig zu entscheiden. (6 2.)
Ist die Impfung ohne gesetzlichen Grund (8 1, 2) unterblieben,
so ist sie binnen einer von der zuständigen Behörde zu setzenden Frist
nachzuholen. (§8 4.)