536 Dritter Teil: Die einzelnen Materien des Reichsrechts.
lichen Vorschriften die zur Besserung und Beaufsichtigung geeigneten
Maßregeln getroffen werden. (8 55.)
Ein Angeschuldigter, welcher zu einer Zeit, als er das 12., aber
nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatte, eine strafbare Handlung be-
gangen hat, ist freizusprechen, wenn er bei Begehung derselben die zur
Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht nicht besaß.
In dem Urteile ist zu bestimmen, ob der Angeschuldigte seiner
Familie überwiesen oder in eine Erziehungs= oder Besserungsanstalt ge
bracht werden soll. In der Anstalt ist er so lange zu behalten, als
die der Anstalt vorgesetzte Verwaltungsbehörde solches für erforderlich
erachtet, jedoch nicht über das vollendete 20. Lebensjahr. (& 56.)
Wenn ein Angeschuldigter, welcher zu einer Zeit, als er das
12., aber nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatte, eine strafbare Hand-
lung begangen hat, bei Begehung derselben die zur Erkenntnis ihrer
Strafbarkeit erforderliche Einsicht besaß, so kommen gegen ihn folgende
Bestimmungen zur Anwendung:
1. ist die Handlung mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthaus
bedroht, so ist auf Gefängnis von 3 bis zu 15 Jahren zu erkennen;
2. ist die Handlung mit lebenslänglicher Festungshaft bedroht, so ist
auf Festungshaft von 3 bis zu 15 Jahren zu erkennen;
3. ist die Handlung mit Zuchthaus oder mit einer anderen Strafart
bedroht, so ist die Strafe zwischen dem gesetzlichen Mindestbetrage
der angedrohten Strafart und der Hälfte des Höchstbetrages der
angedrohten Strafe zu bestimmen.
Ist die so bestimmte Strafe Zuchthaus, so tritt Gefängnis-=
strafe von gleicher Dauer an ihre Stelle;
4. ist die Handlung ein Vergehen oder eine Uebertretung, so kann
in besonders leichten Fällen auf Verweis erkannt werden;
5. auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte überhaupt oder einzelner
bürgerlichen Ehrenrechte, sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht
ist nicht zu erkennen.
Die Freiheitsstrafe ist in besonderen, zur Verbüßung von Strafen
jugendlicher Personen bestimmten Anstalten oder Räumen zu vollziehen. (857.
Ein Taubstummer, welcher die zur Erkenntnis der Straf-
barkeit einer von ihm begangenen Handlung erforderliche Einsicht nicht
besaß, ist freizusprechen. (8 58.)
Wenn jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das Vor-
handensein von Tatumständen nicht kannte, welche zum gesetzlichen Tat-
bestande gehören oder die Strafbarkeit erhöhen, so sind ihm diese Um-
stände nicht zuzurechnen. 4
Bei der Bestrafung fahrlässig begangener Handlungen gilt diese
Bestimmung nur insoweit, als die Unkenntnis selbst nicht durch Fahr-
lässigkeit verschuldet ist. (& 59.)
Eine erlittene Untersuchungshaft kann bei Fällung des Urteils
auf die erkannte Strafe ganz oder teilweise angerechnet werden. (8 60.)