622 Sachsen von 1846—1654.
Minister blieben die ganze Nacht im Schlosse, mit Ungeduld
auf das Eintreffen der leipziger Schützen wartend. Ihr Aus-
bleiben, das ernstliche Besorgnisse erregte, entschicd endlich den
lange verzögerten Entschluß des Königs zu fliehen. Morgens
4 Uhr begaben er und die Känigin sich in Begleitung der
Minister in die Neustadt und fuhren von da mittelst Dampf-
schiff nach dem Königstein, wo bereits vor ihnen Prinz Johann
von Weesenstein eingetroffen war.
Kaum hatte sich die königliche Familie entfernt, als Sturmge-
läute und Generalmarsch den Beginn des Angriffs von Seiten der
Insurgenten verkündeten. Derselbe richtete sich gegen das Schloß,
begegnete jedoch hier einer so nachdrücklichen Zurückweisung, daß er
während des ganzen weiteren Kampfes nicht wiederholt wurde.
Um womeäglich eine Einstellung der Feindseligkeiten von den
Ministern zu erlangen begab sich eine Deputation der Stadt-
behörden nach dem Schlosse und, als sie hier die Gesuchten
nicht fand, unter freiem Geleite nach der Neustadt; sie wendete
sich an den Gouverneur, der sich mit ihr in Unterhandlung
einließ und sich mündlich gegen sie verpflichtete, unter der Be-
dingung, daß Schloß und Zeughaus unaugefochten, die Ver-
bindung mit dem letzteren frei und der Schloßplatz neutral
bleibe, die Reiterei und die Geschütze auf die Brücke zurückzu-
zuziehen. Dieses der augenblicklichen Rathlosigkeit und Schwäche
entsprungene Zugeständniß kam den Insurgenten in hohem
Maße zu statten. Nicht nur, daß sie dadurch Zeit gewannen
den Bau der Barrikaden zu vollenden und im freundlichen
Verkehr mit den Truppen die Künste der Verführung an ihnen
zu erproben, die bei dieser Gelegenheit kund gewordene Ent-
fernung des Königs und der Minister, durch welche factisch
allerdings Stadt und Land eine Zeit lang ohne Regierung
waren, da niemand wußte, wo sie sich befand, lieferten den
erwünschtesten Vorwand um zu der schon Tags vorher
beschlessenen Einsetzung einer provisorischen Regierung zu
schreiten, daher auch zur Wiederlangung des Königs durchaus
nichts Ernstliches gethan wurde. Eine von 20 Kammermit-
gliedern unterzeichnete Aufforderung entbot sämtliche noch in