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112 Landgrafschaft Thüringen.
läßt sich wenigstens soviel erkennen, daß die wenig mächtigen
Winzenburger in Thüringen, wo sie nur in geringem Maße
begütert waren, neben den einheimischen Großen zu einer hervor-
ragenden Bedentung aufzusteigen nicht vermochten. Als aber
schon 1130 Hermanns gleichnamiger Nachfolger wegen der
schnsden Ermordung seines Vasallen, des Grafen Burkhard
von Luckenheim, auf dem Reichstage zu Quedlinburg der Land-
grafschaft wieder entsetzt wurde, verlieh Kaiser Lothar, zur
Verstärkung seiner eigenen Partei, die erledigte Würde, wohl
noch auf dem nämlichen Reichstage, feierlich seinem Freunde,
dem Grafen Ludwig von Thüringen.
Damit gewann die Landgrafschaft eine ganz andere, viel
umfassendere Bedeutung. Allerdings ist an eine damals erfolgte
Erhebung Thüringens zu einem Fürstenthume schon darum nicht
zu denken, weil jener Zeit die Vorstellung von einer Erhebung
eines Grafen in den Fürstenstand überhaupt noch fremd war ½);
allein der große Grundbesitz und das hohe Ansehen, welche die
Nachkommen Ludwigs des Bärtigen in Thüringen hatten, ver-
bunden mit der klugen und festen Politik, die sie ver-
folgten, sowie mit dem allgemeinen Entwicklungsgange der deut-
schen Verhältnisse überhaupt, mußten nothwendig bald dahin
führen, daß die Landgrafschaft zu einem wirklichen Fürstenthum
wurde. Durch dieses Geschlecht erst gelangte Thüringen zur
Einheit und damit zu einer ebenso eigenthümlichen als leben-
digen inneren Entwickelung, die in dem materiellen Gedeihen
des Landes, dem blühenden Bodenbau, dem Wachsthum der
Städte, in der Pflege der Dichtkunst und in dem anmuthigen
Reichthume der hier sich gestaltenden und gerade das land-
gräfliche Haus mit besonderer Vorliebe umrankenden Sage
ihre schönsten Früchte getrieben hat. Welchen Nang der
Landgraf unter den andern deutschen Fürsten einnahm, läßt
sich noch schwer erkennen; als Zeuge in Urkunden steht bald
die Landgrafschaft in Thüringen gleich nach dem Herzogthum, wenn auch
nicht dem Namen nach, doch factisch (vergl. über die letzte Behauptung
Rommel, Gesch. von Hessen, I, Anmerkk. S. 198) begonnen habe, ohne
jedoch Beweis zu führen. — Wegele (Einl. z. d. Ann. Neinh., p. X)
bezeichnet sie als „die Grasschaft im alten fräukischen Sinne, aber erblich“.
1) Ficker, Vom Reichsfürstenstande J, 103.