Full text: Geschichte des Kurstaates und Königreiches Sachsen. Erster Band: Von den frühesten Zeiten bis zur Mitte des sechzehnten Jahrhunderts. (1)

440 Zustand der Kirche. 
selben wie die jedes anderen irdischen Werkes enthüllt hatte, 
seitdem lernte die Menschheit das heilige Urbild der Kirche 
Christi von ihrer entarteten irdischen Form unterscheiden, und 
die Kirche hörte auf, die höchste geistige Macht auf Erden zu 
sein; unabhängig von ihr begann die Strömung der Geister 
sich ihr Bett zu graben; bald fluthete sie gegen sie selbst an. 
Mochte sich auch der Klerus in seiner gottlosen Abkehr von 
allem Hohen und Himulischen jetzt voll doppelter Gier in den 
Strudel des Sinnengenusses stürzen, das erwachende, sittliche 
Bewußtsein des Volkes empörte sich nur desto tiefer gegen seine 
Unwürdigkeit; mochte die Kurie erfinderisch unter immer neuen 
Namen Unsummen Geldes von Geistlichen wie von Laien er- 
pressen, der Abscheu vor ihrer Habgier untergrub vollends den 
Glauben an die Heiligkeit ihres Berufs. Es war dahin ge- 
kommen, daß die Kirche ihren Bekennern kaum noch durch etwas 
anderes als durch Geldforderungen sich fühlbar machte, daß 
Hoch und Niedrig, Fürst und Unterthan sich gleicherweise gegen 
ihre systematische, in jener Zeit des Geldmangels doppelt fühl- 
bare Aussaugung zur Wehre setzen mußten, daß Widerwille 
gegen alles Kirchliche allgemein, Haß gegen Rom und Papst 
die herrschende Stimmung in der Nation waren; in den Terri- 
torien kämpften die Fürsten gegen die Eingriffe der geistlichen 
Gerichtsbarkeit, die Reichstage hallten wieder von den Be- 
schwerden der deutschen Nation gegen den römischen Stuhl; der 
Bürgerstand, durch eigene Arbeitsamkeit zwischen Feudalaristo- 
kratie und Hierarchie hindurch emporgewachsen, fand das faule 
Mönchthum überflüssig, ja verächtlich, und verlangte, wie die 
Straße für den Waarenzug, die Stadt für ihr Gemeinwesen, 
die Scholle für ihren Bebaner, so auch die Seele frei für das, 
was sie hoffen und fürchten und glauben wolle; Alle endlich 
ersehnten statt des todten äußerlichen Gepränges Befriedigung 
des tiefempfundenen Heilsbedürfnisses. 
Aber so starr waren die Formen, so unbehilflich der ganze 
Mechanismus des Reichs, daß alle diese lebendigen Kräfte aus 
sich selbst nicht den Punkt zu finden vermochten, auf dem sie 
wirksam werden und den Angriff gegen die Hierarchie unter- 
nehmen konnten. Einem einzelnen, niedrigen Mönche, der sich
	        
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