Der Humanismus in Wittenberg. 445
Dichterkrönung des Konrad Celtes bewirkt hatte, als den be-
rufenen Gönner der neuen Studien betrachtete, erblühete hier
ein reiches geistiges Leben. Zwar lehnte Mutian des Kurfürsten
Ruf an die Universität, seine Lieblingsschöpfung ab, doch ge-
schah es durch ihn, daß Friedrich eine große Bibliothek grie-
chischer Bücher in Venedig erwarb, für deren Vermehrung sein
vertrauter Rathgeber Spalatin (Georg Burkhardt aus Spalt
in Franken) unermüdlich thätig war. „Mit nichts“, sagt
Wilibald Pirkheimer, „hätte Friedrich sich ein größeres, dauern-
deres und ehrenvolleres Andenken hinterlassen können als durch die
Gründung einer so vortrefflichen Academie, welche mit den alten
in Wettstreit treten kann und die gegemwärtigen nicht bloß er-
reicht, sondern größtentheils hinter sich läßt.“ 1)
Und doch besteht ein großer Unterschicd zwischen dem ein-
seitigen Klassicismus der Erfurter und dem Geiste, der in
Wittenberg waltete: es ist das Hinzutreten des kirchlich-religiösen
Moments, das letzterem sein eigenthümliches Gepräge aufdrückt,
der augustinische Geist, mit dem im Gegensatz zu dem ander-
wärts herrschenden thomistisch -dominicanischen Systeme schon
Staupitz und Wenzel Link, seit 1508 in noch weit höherem
Maße Luther die Universität erfüllten. „Unsere Theologie und
St. Augustin“, schreibt letzterer im Frühjahr 1517 an seinen
Freund Johann Lange nach Erfurt, „machen Fortschritte und
herrschen auf unserer Hochschule mit Gottes Hilfe. Aristoteles
geht allmählich nieder, sich neigend zu einem Falle auf ewig,
der nächstens bevorsteht. Die scholastischen Vorlesungen erregen
gewaltigen Ekel.“ In demselben Jahre wurden die Lectionen
über Thomas von Aquino und andere Scholastiker durch solche
über Quinctilian, Plinius, Terenz u. s. w. ersetzt, für den
Lehrstuhl der griechischen Sprache 1518 auf Reuchlins Vor-
schlag der 22jährige Philipp Melanchthon berufen.
Und hier ist der Punkt, wo jene beiden großen Bewegungen,
die Reformation und der Humanismus, obgleich ursprünglich
und ihrem inneren Wesen nach durchaus nicht einander ver-
wandt, sich berühren. Der transcendentale Mysticismus des
1) Hagen, Deutschlauds lit. und rel. Verhältnisse im Reformations-
zeitalter (1841—1844) I, 230.