12 Erstes Buch.
nur bei Gesamtheiten anzutreffen sind. Die spezifischen Merk-
male wollen wir zunächst studieren, um ihre Bedeutung so
recht darzutun.
An einer psychologischen Masse ist das Sonderbarste dies:
welcher Art auch die sie zusammensetzenden Individuen sein
mögen, wie ähnlich oder unähnlich ihre Lebensweise, Beschäf-
tigung, ihr Charakter oder ihre Intelligenz ist, durch den bloßen
Umstand ihrer Umformung zur Masse besitzen sie eine Art
Kollektivseele, vermöge deren sie in ganz anderer Weise fühlen,
denken und handeln, als jedes von ihnen für sich fühlen,
denken und handeln würde. Es gibt Ideen und Gefühle, die
nur bei den zu Massen verbundenen Individuen auftreten oder
sich in Handlungen umsetzen. Die psychologische Masse ist
ein provisorisches Wesen, das aus heterogenen Elementen be-
steht, die für einen Augenblick sich miteinander verbunden
haben, genau so wie die Zellen des Organismus durch ihre
Vereinigung ein neues Wesen mit ganz anderen Eigenschaften
als denen der einzelnen Zellen bilden.
Im Widerspruche mit einer Anschauung, die sich befremd-
licherweise bei einem so scharisinnigen Philosophen, wie Her-
bert Spencer es ist, findet, gibt es in dem eine Masse bilden-
den Aggregat keineswegs eine Summe und einen Durchschnitt
der Elemente, sondern eine Kombination und Bildung neuer
Elemente, genau so, wie in der Chemie sich bestimmte Elemente,
wie z. B. die Basen und Säuren, bei ihrem Zusammenkommen
zur Bildung eines neuen Körpers verbinden, dessen Eigen-
schaften von denen der Körper, die an seinem Zustandekommen
beteiligt waren, völlig verschieden sind.
Leicht ist die Feststellung des Maßes von Verschiedenheit
des einer Masse angehörenden vom isolierten Individuum,
weniger leicht ist aber die Entdeckung der Ursachen dieser Ver-
schiedenheit.
Um diese Ursachen wenigstens einigermaßen zu finden,
muß man sich zunächst der von der modernen Psychologie
gemachten Feststellung erinnern, daß nicht bloß im organischen