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muß ein ebenso umfassendes Pflichtverhältnis entsprechen, und
dieses ist gegeben in der Staatsangehörigkeit. Sie ist daher ein
Inbegriff aller möglichen, nie durch Aufzählung erschöpfbaren
Pflichten des einzelnen gegenüber dem Staate.
Hat nun der Staatsangehörige neben den Pflichten dem
Staate gegenüber auch noch Rechte! Es kommt ganz darauf an,
was man unter subjektiven Rechten versteht. Bloßes Wollendürfen
oder rechtlich geschütztes Interesse ist natürlich auch dem Staate
gegenüber möglich. Sieht man dagegen in dem subjektiven Rechte
die rechtliche Bindung einer anderen Rechtspersönlichkeit, so daß
jedem subjektiven Rechte eine subjektive Verpflichtung gegenübersteht,
so fehlt diese Verpflichtungsmöglichkeit für die allbeherrschende,
rechtlich unbeschränkbare Staatsgewalt gegenüber den ihr unbedingt
Unterworfenen. Der Staat könnte jede derartige Verpflichtung
jeden Augenblick abstreifen, äußerstenfalls in der Form des Ver-
fassungsgesetzes. Der verwaltende Staat, der allenfalls gebunden wäre,
ist aber kein anderer als der gesetzgebende. Ist der Staat nicht un-
bedingt gebunden, so ist er überhaupt nicht gebunden. Es gibt daher
keine subjektiven Rechte der Staatsangehörigen gegenüber dem Staate.
Damit scheint eine Einrichtung im Widerspruche zu stehen,
die sich in den meisten Verfassungsurkunden findet, die der Grund-
rechte,) so in Tit. 2 der preußischen: Von den Rechten der Preußen.
Der Ursprung der Grundrechte geht auf England zurück.
Gegenüber den absolutistischen Versuchen der Stuarts suchte das
Parlament in der Petition of right von 1628 und in der Bill
of rights and liberties of English subjects von 1689 das ge-
schichtlich gewordene Landesrecht zu wahren und festzustellen. Das
ahmten die Amerikaner nach, besonders gegen die vermeintlich
rechtswidrigen Übergriffe des englischen Parlaments in das Ver-
fassungsleben der Kolonisten. Durch Lafayette, der im amerikani-
schen Unabhängigkeitskriege mitgekämpft hatte, wurde dieses Beispiel
vorbildlich für die französische Revolution. Sie wollte jedoch nicht
das geschichtliche Recht wahren, sondern das geschichtlich Gewordene
stürzen auf Grund eines höheren Rechtstitels, des Naturrechts.
*) Vgl. Jellinek, Die Erklärung der Menschen= und Bürgerrechte, 2. Aufl.,
Leipzig 1904.