Full text: Preußisches Staatsrecht. Dritter Band: Verwaltungsrecht, besonderer Teil. (3)

6 Das Verwaltungsrecht. 8149 
daß; das Reich darüber ein Gesetz erläßt oder seinerseits cinen 
völkerrechtlichen Vertrag abschließt. Dem würde ein von einem 
Einzelstaate eingegangener Vertrag nicht entgegenstehen. Denn 
der Einzelstaat hat die Freiheit der Bewegung nur innerhalb der 
reichsrechtlichen Schranken, er muß sich bewußt sein, daß die Wirk- 
samkeit der von ihm getroffenen Bestimmungen erlischt, sobald 
das Reich von seinen Befugnissen Gebrauch macht. Der Einzelstaat 
kann daher über die betreffenden Gegenstände Verträge nur ein- 
gehen mit dem Vorbehalte, daß sic erlöschen, sobald das Reich 
cingreift, und die Gegenpartei muß sich, auch wenn der Vorbehalt 
nicht ausdrücklich gemacht ist, dieser sich aus der Stellung der 
deutschen Einzelstaaten zum Reiche ergebenden Folgen bewußt sein. 
Anders ist das Verhältnis freilich, wenn ein deutscher Staat 
einen solchen Vertrag abschloß, ehe er in die Reichsverbindung 
eintrat). Damals bestand die aus dem Verhältnisse des Staates 
zum Reiche folgende Beschränkung der Vertragsfähigkeit noch nicht. 
Der Staat schloß den Vertrag als vollkommen souveränes Ge- 
meinwesen und die dadurch begründete frühere Verpflichtung geht 
der späteren, durch den Eintritt in das Reich entstandenen vor. 
Das Reich kann daher über die Gegenstände, welche den Inhalt 
eines solchen Vertrages bilden, keine ihm widersprechenden Gesetze 
erlassen oder Verträge abschließen, sondern ist auch seinerseits durch 
jene früheren völkerrechtlichen Akte der Einzelstaaten gebunden. 
Es würde z. B., da die süddeutschen Staaten die sogenannten 
Bancroftverträge mit Nordamerika über den Erwerb und den Ver- 
lust der Staatsangehörigkeits) als vollkommen souveräne Staaten 
eingegangen sind, das Reich völkerrechtlich nicht zum Erlasse eines 
Gesetzes befugt sein, welches diesen Verträgen widersprechende Be- 
stimmungen enthält. Das Reich bleibt in einem solchen Falle 
darauf beschränkt, die Einzelstaaten zur rechtzeitigen Kündigung 
der von ihnen abgeschlossenen Verträge zu veranlassen. 
Wenn aber auch das Reich von seiner Zuständigkeit Gebrauch 
4) Daß das Reich auch dann nach Art. 2 der Reichsversassung zu- 
ständig ist, wie Laband Bd. 2, S. 169, betont, will ich gar nicht 
leuguen. Ich behaupte nur, daß, wenn es von ihr Gebrauch macht, es 
sich völkerrechtlich mit der Verpflichtung eines Gliedstaates, die es auch 
seinerseits zu vertreten hat, in Widerspruch setzt. 
:) Dxgl. S 4, 45.
	        
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