8 162 Die streitige Gerichtsbarkeit. 117
Anklageprozeß in Strafsachen, Mitwirkung von Geschworenen bei
schweren Verbrechen, Aufnahme gefunden hatten, ließ man sich
dazu verleiten, diese Grundsätze auch im Staatsrechte zu behandeln.
Dabei machte man sich aber einer Verwechslung des formellen und
materiellen Verfassungsrechtes schuldig. Denn die Tatsache, daß
prozeßrechtliche Normen in den Verfassungsurkunden enthalten
waren, macht sie noch nicht zu staatsrechtlichen. Ebenso wenig
konnte die hohe politische Wichtigkeit dieser Grundsätze für ihren
juristischen Charakter ins Gewicht fallen. Nachdem nunmehr die
Prozeßgesetzgebung Sache des Reiches geworden, und die betreffen-
den prozeßrechtlichen Bestimmungen der Verfassungsurkunden der
Einzelstaaten dadurch gegenstandslos geworden sind, liegt aber
auch ein formeller Grund nicht mehr vor, unsystematischerweise
Teile des Prozeßrechtes im Staatsrechte zu behandeln.
Neben dem reichsrechtlichen Prozeßverfahren besteht jedoch landes-
rechtlich noch ein besonderes Sühne= oder Vergleichsverfahren, und
zwar zum Teil auf Grund reichsrechtlicher Vorschriften. Es ist dies das
Verfahren vor dem Schiedsmanne. Das Institut der Schiedsmänner
beruht gegenwärtig auf der Schiedsmannsordnung vom 29. März
18791). Schon seit 1827 in den älteren Landesteilen mit Ausnahme der
Rheinprovinz eingeführt, ist die Einrichtung nunmehr reichsrechtlich
notwendig geworden, indem die Strafprozeßordnung § 420 das
Strafverfahren wegen der auf Privatklage zu verfolgenden Beleidi-
gungen von der Erfolglosigkeit eines vorherigen Sühneversuchs vor
der Vergleichsbehörde abhängig macht. Die Schiedsmannsordnung
von 1879 hat daher die Einrichtung auf den ganzen Staat aus-
gedehnt. Die Schiedsmänner haben aber nicht nur bei Beleidigungen
und Körperverletzungen einen Sühneversuch anzustellen, sondern
auch auf dem Privatrechtsgebiete die gütliche Schlichtung ver-
mögensrechtlicher Streitigkeiten zu versuchen, soweit solche seitens
der Parteien beantragt wird. Die in dieser Beziehung auf-
genommenen Vergleiche haben die Wirkung der gerichtlichen. Die
Verhandlungen selbst sind kosten= und stempelfrei.
Die Schiedsmänner und ihre Stellvertreter werden für die
einzelnen Gemeinden auf drei Jahre gewählt. Größere Gemeinden
1) GS. 1879, S. 321, Kommentar von Florschütz, 14. Aufl.
don Schultze-Görlkitz, Verlin 1911; von Halle, 2. Aufl., Berlin 190 3.