8182 Das Enteignungsrecht. 325
Das Reichsrecht hat bisher das Enteignungsrecht unberührt
gelassen, abgesehen von einer vereinzelten Bestimmung in Art. 41
der Reichsverfassung, wonach das Reich auch gegen den Widerspruch
des betreffenden Bundesstaates Eisenbahnen im militärischen Inter-
esse selbst anlegen oder an Privatunternehmer zur Ausführung
genehmigen und mit dem Enteignungsrechte ausstatten kann.
An und für sich kann sich die Enteignung sowohl auf unbeweg-
liche wie auf bewegliche Gegenstände beziehen, auf letztere namentlich,
wenn es das militärische Interesse erfordert. Da jedoch diese Ent-
eignungen beweglicher Sachen durch Sondergesetze geregelt sind,
die gegenwärtig als Teil des Militärrechts den Charakter von
Reichsgesetzen haben, so kommt hier nur noch die Enteignung
unbeweglicher Sachen in Betracht, und es kann deshalb die Ent-
eignung als ein Teil des öffentlichen Grundbesitzrechtes behandelt
werden.
In der Begründung des Enteignungsrechtes lassen sich fünf
Hauptrichtungen unterscheiden.
Die älteste, von der sich Anklänge schon bei den Glossatoren
finden, ist begründet worden von Hugo Grotius. Sie führt das
Enteignungsrecht zurück auf das Dominium eminens, nicht zu
verwechseln mit dem Jus eminens, des Staates über alles Privat-
eigentum. Dem Staate wird ein Obereigentum über allen Privat-
besitz zugeschrieben, woraus sich die staatliche Befugnis rechtfertigen
soll, ihn unter Umständen den Privatpersonen zugunsten des
Staates zu entziehen. Diese auf lehnrechtlichen Anschauungen be-
ruhende Lehre konnte nur einen Uebergangszustand bilden, um
die germanische Anschauung von der absoluten Geltung des
individuellen Eigentums gegenüber dem Staate zu brechen. Nach-
dem diese Aufgabe erfüllt war, verliert die Lehre des Dominium
eminens ihre Bedeutung, und bei den späteren Schriftstellern, die
den Ausdruck noch gebrauchen, bezeichnet es nur das Enteignungs-
echt schlechthin)).
Eine zweite Richtung, welche noch gegenwärtig vorkommt und
namentlich im AL. zur Geltung gelangt ist, faßt die Enteignung
.
z8. April 1875 — Offizielles Wochenblatt 1875, S. 291 —. Es gilt nicht
n Helgoland.
4) Vgl. über die Entwicklung dieser Lehre L. v. Stein, Ver-
waltungslehre Bd. 7, S. 164 ff.