Full text: Preußisches Staatsrecht. Dritter Band: Verwaltungsrecht, besonderer Teil. (3)

8218 Geschichtl. Entwicklung des Verhältnisses von Staat u. Kirche. 641 
Das Territorialsystem kam zuerst ausschließlich in Schlesien 
zdur Anwendung. Nach der Erwerbung Westpreußens wurde dann 
durch eine Reihe einzelner Gesetze die schlesische Verfassung auf 
Westpreußen übertragen:). In den älteren Landesteilen war da- 
gegen zu einer Aenderung des bestehenden Rechtszustandes im 
allgemeinen keine Veranlassung. Nur wurde den Katholiken im 
Wege der Verwaltungspraxis allgemein eine freiere Religions- 
übung gewährt. Als man sich jedoch entschloß, in das neue 
Gesetzbuch eine Kodifikation der kirchenrechtlichen Normen auf- 
zunehmen, konnte man schon deshalb, weil die Kodifikation für 
das ganze Staatsgebiet bestimmt war, nicht die Verhältnisse der 
älteren Landesteile zugrunde legen, sondern es blieb nur die 
Möglichkeit, die schlesisch-westpreußische Verfassung auf den ganzen 
Staat auszudehnen. 
Das A#. II, 11: „Von den Rechten und Pflichten der 
Kirchen und geistlichen Gesellschaften“ kodifiziert nur den schon 
bisher in den neuen Provinzen herrschenden, auf dem Territorial- 
systeme erwachsenen Rechtszustand. Die ausdrücklich aufge- 
nommenen Gesellschaften haben zwar die Rechte privilegierter 
Korporationen (8 17). Sie sind jedoch den Gesetzen des Staates 
Unbedingt unterworfen (88 27 ff.), nur für die äußere Form 
des Gottesdienstes können sie dienliche Ordnungen einführen, je- 
doch auch nur mit Genehmigung des Staates, wodurch diese 
Ordnungen mit anderen Polizeigesetzen gleiche Verbindlichkeit er- 
langen (88 46 ff., 116—118). Was die Organisation betrifft, so 
stehen mehrere Kirchengesellschaften derselben Religionspartei unter 
sich in keiner notwendigen Verbindung (8 36). Es gibt also- 
rechtlich keine über die einzelne Gemeinde hinausgehende kirch- 
liche Gemeinschaft, die korporative Selbständigkeit der Kirchen 
wird nur in den Einzelgemeinden anerkannt. Aber auch diese 
stehen unter der Verwaltung staatlicher Beamten, da alle Geist- 
lichen und sonstigen Religionsdiener den Charakter von Staats- 
beamten haben (88 19, 90). Es wird daher eine ausführliche 
Dienstpragmatik nicht nur für die einzelnen Geistlichen, sondern 
auch für den ganzen Behördenorganismus der katholischen und 
protestantischen Kirchen gegeben, die deshalb auch von einem aus- 
— — — 
7) Vgl. Friedberg, Grenzen, S. 280ff. 
Bornha Preußisches Staatsrecht. III. 2. Aufl. 41
	        
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