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er vertheidigt die Wahrheit des Princips, daß die Souveränetät
von Gott komme. 1) Der Mensch bedürfe nämlich zu seiner
Existenz der Gemeinschaft mit andern Menschen, und die
menschliche Coexistenz fordere wiederum die Regierung: die
Souveränetät geht semit unmittelbnr aus der menrschlichen
Natur hervor, d. h. sie ist ein göttliches Gesetz, das sich in
jedem Menschen als unabweisbares Bedürfniß nach einer
über ihm herrschenden Gewalt offenbart. Die Souveränetät
ist deshalb ebenso wenig wie die Gesellschaft ein Erzeugniß des
Volkswillens, und aus diesem Grunde können wieder die Für-
sten nicht von des Volks Gnaden sein. 2)
Dieser Satz, dessen Richtigkeit selbst derjenige nicht be-
zweifeln wird, dem die Rechtfertigung der Staatsgewalt aus
der Nothwendigkeit derselben zur Ermöglichung der Coexistenz
der Menschen auch ohne eine Berufung auf den Willen Gottes
genügt, führt de Maistre aber nicht zu der Folgerung, daß
die Machtsphäre der Staatsgewalt auch nicht weiter als zur
Ermöglichung eines menschlichen Gemeinlebens nothwendig ist,
reichen, also nicht unbeschränkt sein dürfe. Vielmehr identi-
ficirt der Genannte die Staatsgewalt geradezu mit dem Für-
sten und dehnt den richtigen Satz, daß eine Vereinigung von
Menschen nur dann ein Staat ist, wenn über ihnen eine
höchste Gewalt gebietet, dahin aus, daß die Nation statt der
Staatsgewalt dem Fürsten und zwar nur dem legitimen Für-
sten ihre staatliche Existenz verdanke 3), als ob die Staatsge-
walt nicht auch in Republiken bestehen und selbst in den Händen
des Usurpators nach allgemein anerkannten, auch von de Maistre
1) De Maistre, a. a. O., I, 223, 334; II, 111.
2) Ebendas., I, 212, 213; II, 149.
3) Ebendas., I, 212, 213.