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Forderung einer Verbindung der drei reinen Verfassungsformen
zu Gunsten einer einzigen, der demokratischen, abwich. Später
und weniger gewaltsam als in Frankreich hatte die constitu-
tionelle Doctrin ihre Herrschaft auf das übrige europäische
Festland erweitert. Bereits im Jahre 1795 hatte Kant ge-
sagt 1): „Alle Regierungsform, die nicht repräsentativ ist, ist
eigentlich eine Unform, weil der Gesetzgeber in einer und
derselben Person nicht zugleich Vollstrecker seines Willens sein
kann.“ Und die Gebildeten hatten sich nicht damit begnügt,
die neue Staatslehre als eine richtige Theorie anzuerkennen,
so irrig sie an sich und in ihrer Verbindung mit der englischen
Verfassung war; sondern sie hatten sie wie eine für die Mensch-
heit bestimmte, zu endlicher Erlösung von allen Misständen des
alten Staatswesens geeignete Heilslehre, wie die alleinselig-
machende Staatsform den Völkern verkündigt und gepriesen.
So war denn der Constitutionalismus auch den Feinden
Frankreichs weder fremd noch unlieb gewesen: nicht das
Grundprincip der modernen Repräsentatioverfassungen, die
Sicherung der in urkundlicher Form festgestellten Einzelrechte
gegen die Staatsgewalt durch eine Versammlung von Ver-
tretern des Volks war der Gegenstand ernstlichen Strei-
tes; nur über die Fragen, was die rechtliche Basis der
Repräsentativverfassungen sei, ob die Souveränetät des Volks
oder der freie Wille des Monarchen oder der Vertrag
zwischen beiden, wie weit die Rechte der Volksvertretung
gehen, in welcher Weise die letztere zusammengesetzt wer-
den solle, wurde noch herüber und hinüber gestritten; das
Maß der Garantien, welche dem Volke für seine Rechte ge-
1) Zum ewigen Frieden, 2. Aufl., 1796, S. 26; vgl. auch desselben
Mctaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, 1. Ausg., 1797, S. 165, 171.