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die Verfassung begründen, mit dem suspensiven Veto die
Herrscher abfinden und mit einer einzigen aus allgemeinen
Wahlen hervorgegangenen Volksvertretung sie krönen zu können.
Deshalb war aber der Ruf nach Repräsentativverfassungen
nicht weniger energisch; auch in Deutschland galt der Constitu-
tionalismus als das Zeichen, unter welchem allein die durch
den Despotismus der alten Landesväter und der modernen.
Staatsherrscher hindurchgegangenen Völker glücklich, d. h. frei
sein würden.
Bei dieser Macht der constitutionellen Bewegung konnte
es nicht wundernehmen, wenn ihr selbst Fürsten, die auf
jede Verminderung ihrer unbeschränkten Macht eifersüchtig
waren, Berechtigung zugestehen mußten. So führte sich das
neuerrichtete Königthum in Frankreich mit einer Constitution
(vom 4. Juni 1814) ein, welche der legitime König von Frank-
reich und Navarra zwar nach dem Zeugnisse der „ehrwürdigen
Denkmäler der vergangenen Jahrhunderte“ construiren, ja
aus den alten Volksversammlungen des März= und Maifeldes
ableiten, auch lediglich als eine freiwillige Gabe seiner könig-
lichen Gewalt angesehen wissen wollte, in Wahrheit aber doch,
wenngleich nur in beschränktem Maße, dem modernen Ver-
fassungsschema nachgebildet hatte.1) So hatte selbst Napoleon
während der Hundert Tage das französische Volk durch eine
ehrliche Repräsentativverfassung (vom 22. April 1815) an sich
zu ketten versucht. 2) So konnte der König von Schweden
nicht umhin, das fast republikanische Grundgesetz des eroberten
Norwegen anzuerkennen, nachdem dessen immerwährende
Verbindung mit Schweden verfassungsmäßig sichergestellt
1) Pölitz, Europäische Verfassungen, II, 809—93.
2) Ebendas., S. 94 fg.