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Endlich lieferte die constitutionelle Bewegung selbst ihren
Gegnern eine lange Reihe von Einwürfen: was ließ sich nicht
alles gegen ein Verfassungsrecht geltend machen, das trotz
seiner ursprünglich allen germanischen Staaten gemeinsamen
Grundlagen im eminentesten Sinne des Wortes das Product
der durchaus eigenartigen Geschichte eines abgeschlossenen
Inselvolks war, und trotzdem für alle Völker des europäi-
schen Continents passend und förderlich sein sollte, das schon
von seinem ersten wissenschaftlichen Darsteller nicht richtig
verstanden worden, und das der größte Theil derer, welche
jetzt mit unermüdlichem Eifer, ja sogar in offenen Revolutionen
nach einer Verfassung riefen, noch viel weniger verstand?
Besaßen doch die Neapolitaner, als sie ihren König zur Ein-
führung der für ein constitutionelles Muster angesehenen spa-
nischen Cortesverfassung zwangen, nicht einmal ein vollständiges
Exemplar der gerühmten Verfassungsurkunde 1) und gelangten
erst, nachdem die Einführung und Beschwörung der Verfassung
gewaltsam durchgesetzt worden, in den Besitz des Gesetzes,
für dessen Inhalt Armee und Volk sich erhoben!
Wie nahe lag es, die neumodischen papierenen Constitutio-
nen zur Zielscheibe des Witzes zu machen, da man in dem nur
dieser politisch so außerordentlich unreifen Zeit verzeihlichen
Irrthume lebte, die Publication einer Verfassungsurkunde
infolge einiger gelungener Straßenaufläufe könne die jahr-
hundertelange Geschichte ersetzen, durch welche in dem ein-
zigen wirklich constitutionell regierten Lande der damaligen
Zeit, in England, die Verfassung zu einem integrirenden
Bestandtheile der Rechtsüberzeugung jedes Politikers ge-
worden!
1) Pauli, Geschichte Englands, I, 270. Reuchlin, a. a. O., I, 157, 158.