Programm
für
St. Peters-
burg
82 BÜLOW WILL IN MEMEL AUSSTEIGEN
Parade auf einem unruhigen Pferde vor meinem Zuge ritt und mir sagte,
daß, wenn ich mich jetzt nicht fest im Sattel hielte und das edle Roß fest
am Zügel, dieses ausbrechen, die Schwadron in Unordnung geraten und
die Parade verpfuscht sein würde. Ich erwiderte also Seiner Majestät in
voller Ruhe und in respektvollstem Tone, aber sehr bestimmt, daß ich in
keiner Weise an meinem Posten klebe. Ich wäre jeden Augenblick bereit,
und gern bereit, nach Rom zurückzukehren, und wenn Seine Majestät
mir Rom nicht wiedergeben wolle, so zöge ich mich auch ohne Schelten
und Klagen ins Privatleben zurück. Ich könnte mich sehr gut selbst be-
schäftigen, ich läse sehr gern, und es gäbe eine Unzahl guter und inter-
essanter Bücher, die ich kennenlernen möchte und noch nicht kenne.
Am fernen Ufer tauchten die Türme von Memel auf, ich zeigte auf sie
und fragte den Kaiser, ob er mich nicht in einer Pinasse dort absetzen lassen
wolle. Es würde mir besonders interessant sein, bei diesem Anlaß die histo-
rische Stadt kennenzulernen, wo die preußische Monarchie ihre schwerste
Stunde, aber auch den Ausgangspunkt ihres glorreichen Wiederaufstiegs
gesehen hätte. Der Kaiser legte mir mit dem guten und dabei ehrlichen
Ausdruck, den er haben konnte, die Hand auf die Schulter: „Nichts für
ungut! Was sich zankt, das liebt sich. Wir werden schon miteinander aus-
kommen, die Bären von Phili und Urach gebe ich auf.“
Ich konntenun dem Kaiser, der freundlich und aufmerksam zuhörte, ein-
gehend darlegen, wie ich mir den Gang unserer politischen Konversationen
in St. Petersburg vorstellte. Vor allem müßten wir in Peterhof vorsichtig
in unseren Äußerungen über Frankreich und noch mehr über England sein.
Die Franzosen wären nun einmal die Alliierten der Russen, und sie zu
kritisieren nütze ebensowenig, als wenn man einem Ehegatten, der verliebt
in seine Frau ist, Übles über sie sage. Noch gefährlicher wären abfällige
Äußerungen über die Engländer. Denn bei den zahlreichen Beziehungen
zwischen dem englischen und dem russischen Hofe würde jede von unserer
Seite in St. Petersburg gegen England gerichtete Auslassung sofort, und
mit besonderer Vorliebe von weiblicher Feder, nach Osborne House,
Windsor und Sandringham gemeldet werden. Dagegen müßten wir die
deutsch-russische Solidarität gegenüber den Polen wie gegenüber der
Revolution und revolutionären Gefahren unbefangen und nachdrücklich
betonen. Nicht spontan, aber wenn von russischer Seite die Rede darauf
gebracht würde, könnten wir hinsichtlich der Dardanellenfrage ruhig
sagen, wir hielten eine den russischen Wünschen entsprechende Regelung
dieser Frage mit dem Fortbestand und auch mit der Unabhängigkeit der
Türkei für wohl vereinbar. Was Ostasien angehe, so würde es meiner
Ansicht nach am besten sein, wenn Rußland sich ungefähr gleichzeitig mit
Deutschland an der chinesischen Küste einen Hafen aussuchte. Wir stünden