Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

256 BEI DEN BENEDIKTINERN 
keinen ausgesprochen oder gar ausschließlich protestantischen Charakter 
geben dürfe. Ich wäre für meine Person ein treuer Sohn der evangelischen 
Kirche, aber in Preußen wie in Deutschland könne und dürfe nur pari- 
tätisch regiert werden. Da die Dynastie evangelisch wäre, müsse um so 
sorgfältiger alles vermieden werden, was irgendwie die Besorgnis erwecken 
könne, als ob das katholische Element und die katholische Kirche zurück- 
gesetzt werden sollten. Nachdem ich von verschiedenen Seiten gehört hatte, 
daß der Besitz der Dormitio, wo die heilige Jungfrau beigesetzt sein soll, 
den deutschen Katholiken eine Freude sein würde, ließ ich durch den 
Dragoman Testa bei der Pforte die nötigen Schritte tun, die rasch zu einem 
günstigen Ergebnis führten. Als der Kaiser das den Katholiken ehrwürdige 
und von den Beuroner Benediktinern betreute Grundstück besuchte, 
wurde er dort von dem Patriarchen von Jerusalem, Monsignore Piavi, 
empfangen, dem Typus eines klugen, feinen und gewandten römischen 
Prälaten. Der Patriarch hielt eine sehr gelungene Ansprache an den Kaiser, 
der durch sie so befriedigt wurde, daß er in enthusiastischen Ausführungen 
sich, sein Heer und sein Reich in den Dienst der Mutter Christi stellte, auf 
deren Ruhestätte wir uns befänden. Monsignore Piavi war seinerseits durch 
die kaiserliche Antwort so beglückt, daß er mir, indem er auf den Kaiser 
wies, sagte: „Il est plus grand que Charlemagne, plus pieux que Louis le 
Saint.‘ Ich hatte später eine interessante Unterredung mit dem sehr unter- 
richteten Patriarchen, der ich entnahm, daß er bei voller Hingabe an die 
Rechte seiner Kirche es doch als einen wichtigen Teil seiner Aufgabe be- 
trachtete, die Interessen seines italienischen Vaterlandes und des italie- 
nischen Volkstums nach allen Seiten, nötigenfalls auch gegen die Fran- 
zosen, zu verteidigen. Er klagte lebhaft über die Jesuiten, die immer für die 
französischen Interessen einträten und grundsätzlich die italienischen 
schädigten. Ein sehr lieber Freund wurde mir während unseres Aufent- 
halts in Jerusalem ein frommer Lazarist, der Pater Schmitz, ein Rhein- 
länder. Er hat mich später wiederholt in Berlin besucht, und Gespräche mit 
ihm waren mir immer eine Freude und eine Erbauung. Der vortreffliche 
Mann starb infolge eines Unglücksfalls, wenn ich nicht irre, in Köln, von 
einem Straßenbahnwagen überfahren. 
Am Abend des Tages, wo wir die evangelische Kirche eingeweiht und die 
Dormitio beatae virginis übernommen hatten, fand im Zelte des Kaisers 
ein großes Diner statt. Unsere Damen hatten gehofft, daß die Ansprache 
Seiner Majestät bei diesem Festmahl als Krönung des feierlichen Tages 
einen ausgesprochen religiösen Charakter im christlichen Sinne tragen 
würde. Der Kaiser feierte jedoch seinen Gastgeber, den Sultan, die Moham- 
medaner und den Islam in seinem Trinkspruch mit solchem Schwung, daß 
ich dem türkischen Botschafter, der für seinen Souverän um den authen-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.