ONKEL UND NEFFE 341
viele seiner Landsleute voll Eifersucht auf Deutschland. Die mächtige
Entfaltung unserer Industrie, unseres Handels und unserer Schiffahrt
erweckte gerade in ihm die Gefühle, die der Eigentümer eines großen und
alten Bankhauses empfindet, wenn sich ihm gegenüber ein junger, weniger
vornehmer, ihm antipathischer, sehr rühriger Konkurrent auftut. 1848
hatte uns Deutschen bei unseren allerersten Flottenbestrebungen Lord
Ellenborough im House of Lords höhnisch zugerufen: „Ephippia bos.“
(Der Ochs will einen Sattel haben [will Reitpferd sein].) Als wir nun
fünfzig Jahre später an den Bau einer Flotte gingen, fand auch Eduard
VII. dies überflüssig und störend. Seine Frau hatte von allen Kindern
der Königin Luise von Dänemark die dänisch-hessischen Rankünen
und Antipathien der Mutter gegen Preußen-Deutschland am intensivsten
geerbt. Schon lange bevor die politischen Beziehungen zwischen uns und
Großbritannien sich verschlechterte, nannte die Prinzeß von Wales in
der Intimität die Deutschen ‚‚those bestial Germans‘‘. Sie war politisch
nicht ohne Einfluß auf ihren Gatten, schon weil der künftige König
Eduard VII. als Ehemann nicht immer ein reines Gewissen und daher
durch Folgsamkeit auf anderen Gebieten manches gutzumachen hatte.
Alle antideutschen Empfindungen wurden bei Eduard VII. gesteigert
durch die tief gewurzelte Abneigung, die er gegen seinen Neffen Kaiser
Wilhelm II. empfand. Er hatte schon den vorwitzigen Knaben nicht ge-
mocht, den zu Überhebung und Ruhmredigkeit neigenden Jüngling noch
weniger goutiert, und der unruhige, laute, allzu laute Souverän ging ihm
erst recht auf die Nerven. Den inneren und völligen Riß zwischen Onkel
und Neffen hatten die Vorgänge während der neunundneunzig Tage des
Trauerjahres 1888 gebracht, der Versuch des damaligen Prinzen Wilhelm,
seinen Vaterin San Remo zur Abdankung zu bewegen, die häßlichen Szenen
zwischen Sohn und Mutter am Sterbebette des Vaters, das pietätlose Ver-
halten des Sohnes gegen die Mutter nach dem Tode des Vaters. Wie dies
die Mutter nie verzichen hatte, so auch ihr ältester Bruder nicht, mit dem
sie während ihres ganzen Lebens innige Freundschaft verband. Königin
Victoria stand diesen tragischen Differenzen mit olympischer Ruhe gegen-
über, da sie von allen gleichmäßig respektiert und geehrt wurde, von denen,
die Unrecht taten, wie von denen, die Unrecht litten. Ich wiederhole aber
auch hier, daß König Eduard VII. bei aller Abneigung gegen seinen Neffen,
die vielleicht um so giftiger war, als er sie oft kaschieren mußte, bei aller
Eifersucht auf das gewaltig emporstrebende Deutsche Reich und aller
innerlichen Antipathie gegen Deutschland und die Deutschen einen
kriegerischen Zusammenstoß mit uns nicht anstrebte und nicht einmal
wünschte und in der sogenannten Einkreisung nur das Mittel sah, unserem
Wachstum ein etwas langsameres Tempo aufzunötigen und namentlich die
Eduard VII.
und
Wilhelm II.