DER „VERRÄTER" WALDERSEE 363
so sehr verehrte Gönnerin, und bleibe in aufrichtiger Dankbarkeit und
bekannter Verehrung und Bewunderung immer Ihr treu ergebenster
Miquel.“
Als ich Tirpitz in den gleichen Tagen zu einem Allerhöchsten Gnaden-
beweis anläßlich der Annahme des Flottengesetzes in dritter Lesung be-
glückwünschte, antwortete er mir: „Aufrichtigen Dank für Ihren freund-
lichen Glückwunsch. Das Persönliche tritt für mich bei dem großen Erfolg
fast ganz zurück. Ich würde mich an dem Bewußtsein begnügen, Ihnen
das Handwerkszeug beschaffen zu können, das Sie brauchen, um Deutsch-
land größer und weiter aufbauen zu können. Möge Ihnen diese Arbeit nicht
zu schwer gemacht werden, das wünscht Ihr Ihnen aufrichtig ergebener
(gez.) Tirpitz.‘“
Schon als ich 1897 mein Amt als Staatssekretär des Äußeren übernalım,
drei Jahre vor der Entsendung Waldersees nach China, hatte mir Holstein,
dessen Argwohn nie schlief, durch den würdigen Geheimen Rat Mechler,
der während eines Menschenalters und länger mit vorbildlicher Gewissen-
haftigkeit dem Zentralbüro des Auswärtigen Amtes vorstand, eine Reihe
von Allerhöchsten Marginalien über den General Grafen Waldersee vorlegen
lassen. Holstein und Waldersee waren vor dem Sturz des Fürsten Bismarck,
zu dem sie beide, jeder in seiner Weise, beitragen sollten, gute Freunde
gewesen. Nach dem Sturz wurden sie „Feinde miteinander“, also gerade
umgekehrt wie einst Herodes und Pilatus. Waldersee mochte sich mit der
Hoffnung getragen haben, daß er an die Stelle des Fürsten Bismarck treten
würde, Holstein aber hatte mit einer der für ihn charakteristischen blitz-
schnellen Wendungen nach Beendigung der Bismarck-Krisis gegen Waldersee
Stellung genommen und war zu Caprivi übergeschwenkt. Nach meiner
Ernennung zum Staatssekretär fürchtete der immer mißtrauische Holstein,
ich könnte mich Waldersee zu sehr nähern. Der Anblick der kaiserlichen
Randvermerke über Waldersee sollte mich warnen und das verhindern. Sie
waren in der Tat nicht freundlich für den General. Wo sein Name in irgend-
einem Bericht oder Zeitungsartikel auftauchte, hatte der Kaiser ein
ungnädiges Wort an den Rand geschrieben. Das Prädikat „Verräter“ kehrte
am häufigsten wieder, aber es fehlte nicht an noch gröberen Ausdrücken.
Wodurch hatte Waldersee die Gunst Wilhelms II. verloren? Er selbst
hat mir mehrfach erzählt, er hätte es im Herbst 1890 bei den schlesischen
Manövern mit dem Kaiser verdorben. Der Kaiser habe damals eine der
beiden Manöverarmeen partout selbst führen wollen. Er, Waldersee, habe
als Chef des Generalstabes am Schluß des Manövers die Kritik abhalten
müssen. Obwohl ihm die reizbare Eigenliebe Seiner Majestät wohlbekannt
gewesen wäre, habe er es für seine Pflicht gegenüber Armee und Land
gehalten, die vielen und groben Fehler zu rügen, die der Kaiser bei der
Wilhelm II.
und Waldersee