XXVI KAPITEL
Unsere Beziehungen zu England - Ihre Entwicklung seit den siegreichen Kriegen von
1866 und 1870 » Unterredung mit Admiral von Tirpitz im Gehölz von Düsternbrook,
Besprechung der Flottenvorlage in der Kommission « Interpretation des Schlagwortes
„Weltpolitik“ gegenüber dem Abgeordneten Gröber « Botschafter Graf Hatzfeldt über
Salisbury und England » Denkschrift des Grafen Paul Metternich über seine persönlichen
Eindrücke in England
m kompliziertesten, also am schwierigsten, lagen unsre Beziehungen zu
England. Gewiß war, wie ich mir schon drei Jahre früher, als mir die
Leitung des Auswärtigen Amts übertragen wurde, klargemacht hatteund hier
bereits ausführte, unser Verhältnis zu Rußland im letzten Ende noch lebens-
wichtiger als das Verhältnis zu England. Wie wir uns zu Rußland stellten,
war eine Frage auf Leben und Tod. Unser Verhältnis zu England hatte in der
zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts drei Etappen durchgemacht.
Der Deutsche war in England gesellschaftlich nie wirklich beliebt gewesen.
Aber nachdem er als harmloser Träumer viele Jahre mehr belächelt als
gehaßt oder gar beneidet worden war, erweckten unsre foudroyanten Siege
von 1866 und noch mehr von 1870 jenseits des Kanals Erstaunen und eine
gewisse Unruhe.
Ich entsinne mich, daß der Phantasieroman der „Battle of Dorkey““,
der den plötzlichen Überfall des zu sorglos, zu faul, vor allem zu
pazifistisch gewordenen Englands durch ein wildes Teutonenheer mit
kühner Phantasie, aber drastisch schilderte, in der ersten Hälfte der sieb-
ziger Jahre von meinen englischen Kollegen und Freunden viel gelesen und
unter damals meist noch humoristischen, hier und da aber schon besorgten
Kommentaren besprochen wurde. Die Franzosen bliesen natürlich in dies
Feuer, das vorläufig nur ein Feuerchen war. In den achtziger Jahren regte
sich zum erstenmal und lebhaft die britische Eifersucht gegen das in glän-
zender und stürmischer, vielleicht zu stürmischer wirtschaftlicher Ent-
faltung vorwärtsdrängende Deutschland. Die aus dieser Eifersucht hervor-
gegangene Verordnung, daß alle deutschen Waren mit der Bezeichnung
ihres Ursprungs, mit dem Vermerk „Made in Germany“ kenntlich zu
machen seien, erwies sich bald als ein Fehlschlag. Dieses Zwangsetikett
wirkte nicht als abschreckendes Brandmal, sondern mehr als Lockung und
Phasen
der deutsch-
englischen
Beziehungen