Hatzfeldt
bei Salisbury
418 SALISBURY NOCH SEHR GEREIZT
Schon vor dem Kaiserbesuch in Windsor und Sandringham, im Früh-
sommer 1899, hatte ich die Aufmerksamkeit unserer Botschaft in London auf
Marokko gelenkt. Das Bestreben der Franzosen, ihren nordafrikanischen
Besitz durch Marokko zu vergrößern, trat immer sichtbarer hervor, und
der Gedanke lag nahe, daß Deutschland und England sich über die Zukunft
dieses Landes verständigen könnten. Graf Hatzfeldt hatte auf meine An-
regung durch ein längeres Schreiben an Holstein vom 8. Juli 1899 geant-
wortet, in dem er zunächst darauf hinwies, daß der englische Premier-
minister die persönlichen Angriffe, zu denen sich Kaiser Wilhelm II. ihm
gegenüber leider hatte hinreißen lassen, noch keineswegs verdaut habe.
Obschon Lord Salisbury hochmütige Gleichgültigkeit vorschütze, sei er
innerlich noch sehr gereizt gegen unseren Kaiser, wie das aus manchen
seiner Äußerungen hervorgehe. Das politische Gespräch über Marokko
habe dem englischen Premierminister Gelegenheit zu recht lebhaften, um
nicht zu sagen scharfen Auslassungen in dieser Richtung gegeben. Er, der
Botschafter, habe ernste Bedenken getragen, diese Äußerungen amtlich
wiederzugeben und dadurch Öl ins Feuer zu gießen. Er habe aber während
seiner Konversation mit Lord Salisbury es an freundschaftlichen, jedoch
sehr bestimmten Warnungen bezüglich einer Abschwenkung von Deutsch-
land nicht fehlen lassen, wie sie kaum ein anderer in London riskieren
könnte.
Als Lord Salisbury eine gewisse Ungläubigkeit bezüglich anderer
europäischer Gruppierungen habe durchblicken lassen, erklärte ihm Hatz-
feldt, er könne ihm aus eigener persönlicher Erfahrung vertraulich das
Beispiel anführen, daß selbst der „Freund“ des englischen Premierministers,
der französische Botschafter in London, Baron Courcel, Deutschland in der
zweiten Hälfte der neunziger Jahre die französische Unterstützung ange-
boten habe, wenn wir nur in die Liste der in London zu erhebenden Rekla-
mationen auch Ägypten aufnehmen wollten, was wir abgelehnt hätten.
Außer Frankreich gäbe es aber noch andere Mächte, deren Bestreben dahin
gehe, sich mit uns zu verständigen, wahrscheinlich auf Kosten Englands.
Der Marineminister Goschen habe ihm, Hatzfeldt, neulich eingewendet,
daß Deutschland keine ernste Schwächung Englands wünschen könne.
Graf Hatzfeldt hatte erwidert, daß dies richtig sei, vorausgesetzt, daß die
deutschen berechtigten Interessen von England gebührend berücksichtigt
würden. Die Gefahr England feindlicher Kombinationen läge aber vor,
solange man Deutschland in England so schlecht behandle und für die
deutschen Interessen weder Verständnis noch tatsächliches Entgegen-
kommen zeige. So mächtig die englische Flotte sein möge, so lasse sich doch
die Möglichkeit nicht bestreiten, daß England durch gewisse, immerhin
mögliche Kombinationen in eine unbequeme Lage kommen könnte, die