Eulenburgs
Stellung zu
Bülows
Kanzlerschaft
462 PHILIPP EULENBURG LEGT SICH ZU BETT
hatten unter der Indiskretion Seiner Majestät zu leiden. Der Kaiser konnte
aber auch verschwiegen sein wie das Grab. So hatte er seinem Intimus
Eulenburg, obwohl dieser, als ich nach Hubertusstock berufen worden war,
dort in der kaiserlichen Umgebung weilte, kein Wort davon gesagt, daß er
die Absicht habe, mir die Nachfolge des Fürsten Hohenlohe anzutragen.
Meine Ernennung zum Kanzler kam daher Eulenburg, der inzwischen
nach Wien zurückgekehrt war, völlig überraschend. Wie meist in solchen
Fällen, rettete er sich dadurch, daß er sich zunächst ins Bett legte. Erst
vierundzwanzig Stunden nachdem er meine Ernennung erfahren hatte,
schrieb er mir: „‚Geliebter, guter Bernhard, ich liege an Erkältung zu Bett,
doch kann ich meinen Dienst verrichten — und viel, viel über Dich nach-
denken. Zu schreiben vermochte ich vorgestern und gestern nicht; ich war
zu elend. Als ich jung war und der damals so schönen Elisabeth Hatzfeldt
huldigte, schrieb sie mir in ein Stammbuch: ‚Nicht träumen sollt ihr euer
Leben — erleben sollt ihr, was ihr träumt!‘ Nun, ich habe in vieler Hin-
sicht mehr erlebt, als ich geträumt habe; im ganzen aber total andere
Dinge, als ich geträumt habe — und schreckliche dazu. Du hast aber
genau das erlebt, was Du geträumt hast — und zwar mit einer seltsamen
Stetigkeit vorschreitend, für die Du Gott sehr dankbar sein mußt. Du
bist nicht, wie ich, herumgezerrt und -gerissen worden in erschreckenden
Kurven und hast nicht schließlich statt des geträumten Lorbeers um die
Harfe einen Fürstenhut, ganz auf dem linken Ohr hängend, erwischt! Eine
der besten Aufgaben, zu denen mich aber Gott bestimmte, war mein Ein-
greifen in Deinen Lebensgang. Dieses Eingreifen, das ich stets als eine
Mission empfunden habe. Ich weiß sehr genau, was ich von gewissen
sehr seltsamen und feinen Empfindungen zu halten habe, die mich bisweilen
ergriffen! Erinnerst Du Dich eines langen Gespräches auf der grünen
Semmeringer Matte, wo wir das Programm machten: Du solltest Staats-
sekretär eine Zeitlang bleiben, um das Berliner Terrain, die innere Politik
a fond kennenzulernen. Dann solltest Du Reichskanzler werden zu einem
Augenblick, wo keine Krise bestünde. Das ist merkwürdig genau ein-
getroffen, wenn mir auch, das gestehe ich offen, die Zeit als Staatssekretär
für Dich etwas lang wurde. Daß schließlich die Wendung so schnell ein-
treten konnte, daß Du mir acht Tage vorher in Berlin noch das Verbleiben
Hohenlohes als unumstößlich darstellen konntest, spricht dafür, daß wir
in der Zeit der Überraschungen leben. Ich gestehe Dir, daß ich nicht daran
glaubte, daß Hohenlohe noch einmal vor den Reichstag treten würde. Ein
sehr alter Mann kann ja der Welt viel bieten, er nähert sich auch darin
dem Kinde, che die öffentliche Meinung ‚stutzig‘ wird, aber hier war doch
eigentlich die Grenze des Möglichen lange überschritten, und das wird
Lucanus auch gefunden haben. Mir träumte letzthin — es gibt eben merk-