EIN FRISCHER, FRÖHLICHER KRIEG 8l
Berlin herrschende Doktrin zu bezeichnen, nach der die Deutschen, un-
fähig, sich gegen England zur See zu wehren, im Falle eines Krieges mit
England sich auf Frankreich stürzen würden, fühlte sich Schiemann als
eine europäische Zelebrität und erging sich in so unvorsichtigen und immer
wiederholten Wendungen und Drohungen, daß ich ihn durch den Unter-
staatssekretär von Mühlberg ernstlich und scharf verwarnen ließ. Er rich-
tete daraufhin einen demütigen Brief an mich, in dem er hoch und teuer
schwor, er lege einen so „außerordentlich hohen Wert‘‘ darauf, in seiner
„bescheidenen publizistischen Tätigkeit‘ nicht in Gegensatz zu den von
mir vertretenen und gewahrten Interessen Deutschlands zu geraten, daß
er künftig noch vorsichtiger als bisher sprechen und schreiben würde.
Der Brief schloß mit den Worten: „Wenn ich aber trotzdem noch zu viel
sagen sollte, bitte ich, es unter keinen Umständen meinem üblen Willen,
sondern nur meinem Ungeschick zuzuschreiben. In stets dankbarer Ver-
ehrung Eurer Exzellenz ehrfurchtsvoll ergebener Theodor Schiemann.“
Dieser Schwur verhinderte Herrn Schiemann nicht, sich dem impres-
sionablen und phantasievollen Kaiser immer wieder mit unsinnigen Vor-
schlägen und Projekten zu nähern. Bald sollten wir mitten im Frieden
Libau und Riga besetzen, um gegenüber Rußland ein Pfand in der Hand zu
haben, bald auch an England ein Ultimatum stellen, daß dieses entweder
aufhören solle, uns wegen unseres Flottenbaues zu bedrohen, oder es auf
einen „ehrlichen und ritterlichen Waffengang‘ zur See mit uns ankommen
lassen möge. Gegenüber den uns drohenden inneren und äußeren Gefahren,
80 versicherte Schiemann dem Kaiser, sei ein frischer, fröhlicher Krieg „‚das
einzige Auskunftsmittel“. Für den Waffengang mit England müsse aller-
dings wie für ein Turnier des Mittelalters der Kampfplatz und die Wabl der
Waffen, in diesem Fall also die Zahl der einzusetzenden Schiffe, im voraus
bestimmt werden. Es bedeutete tatsächlich eine starke Belastung meiner
Geduld und meiner durch ermste Geschäfte in Anspruch genommenen
Leistungsfähigkeit, daß ich auf die Widerlegung und Abwehr solcher auf
die in manchen Dingen große Naivität des Kaisers berechneten Kindereien
Zeit und Kraft verwenden mußte. Bei hoher, ja höchster Meinung von
Würde und Heiligkeit seines königlichen Berufes verstand Wilhelm II.
nicht, daß gerade dieser Beruf wie kein anderer Arbeitsamkeit, Konzen-
tration und Ernst verlangt. Er hat nie die tiefe Wahrheit des Rats begriffen,
den in den „Wahlverwandtschaften“ die Weisheit unseres größten Dichters
dem verständigen Hauptmann in den Mund legt. ‚Nur eines laßt uns fest-
setzen und einrichten“, spricht der Hauptmann zu seinem Freunde Eduard,
„trennen wir alles, was eigentlich Geschäft ist, vom Leben! Das Geschäft
verlangt Ernst und ‚Strenge, das Leben Willkür; das Geschäft die reinste
Folge, dem Leben tut eine Inkonsequenz oft not, ja sie ist liebenswürdig
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