Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

86 WILHELM II. RÄSONIERT 
ausgezeichnetsten englischen Staatsmänner der Victorianischen Ära, der 
1891 verstorbene Earl of Granville, zu meiner ihm durch Verwandtschaft 
verbundenen Schwiegermutter, Donna Laura Minghetti, gesprochen hatte: 
„Our Princess Royal, the Crown Princess of Prussia, is very clever, but not 
wise.‘“‘ Nach außen erregte Wilhelm II. nach siebzehnjähriger Regierung 
bei den Völkern schon vielfach Widerspruch und Abneigung, aber noch 
immer Neugierde und Interesse. Das Vertrauen der Höfe und Regierungen 
zu ihm hatte sehr abgenommen. Die meisten Fürstlichkeiten hatte er sich 
ebenso wie viele fremde Staatsmänner durch die Unvorsichtigkeit, mit der 
er seiner Zunge freien Lauf ließ, zu Feinden gemacht. „Die Zunge“, 
schreibt der Apostel Jakobus, „ist ein kleines Glied, aber sie richtet große 
Dinge an.“ Bei Wilhelm II. hat sie viel Böses angerichtet und vor allem 
ihm selbst viel Schaden zugefügt. Er hätte sich schwere Stunden, seinen 
Ratgebern schwere Mühen ersparen können, wenn er der Warnung des 
Apostelfürsten Petrus besser eingedenk geblieben wäre, die ich ihm ge- 
legentlich vor einer bevorstehenden Reise ins Ausland, als Vademecum, 
niedergeschrieben auf ein Blättchen Papier, mitgab: „Wer leben will und 
gute Tage sehen, der schweige seine Zunge.“ (1. Petr. 3, 10.) Der englische 
Botschafter in Berlin, Sir Frank Lascelles, mein langjähriger Freund, 
sagte mir 1905, die Abneigung König Eduards gegen seinen Neffen flöße 
ihm weniger Besorgnis ein als die Tatsache, daß der Kaiser bei den maß- 
gebenden englischen Politikern allmählich alles Vertrauen einbüße. Sir 
Frank begründete diese Äußerung damit, daß der Kaiser jedem Engländer 
hoch und heilig beteuere, er sei schon als Enkel der Königin Victoria Eng- 
lands bester Freund; hinter dem Rücken der Engländer aber hetze er 
gegen sie. Als ich das bestritt, vertraute mir Lascelles den nachstehenden 
Vorfall an: Während der letzten Kieler Woche habe der Kaiser wiederholt 
dort eingetroffene amerikanische Jachten besucht. Wenn ich dabei gewesen 
wäre, hätte er leidlich verständig gesprochen, sonst aber in allen Tonarten 
über die Englünder räsoniert und den Amerikanern anempfohlen, bei ihm, 
dem Kaiser, Schutz gegen das perfide Albion zu suchen. „Der Kaiser“, 
fuhr Lascelles fort, „wußte nicht, daß sich auf einer der amerikanischen 
Jachten unter den Amerikanern der englische Marineattache in Washington 
befand, der über die Auslassungen Seiner Majestät nach London berichtete. 
Ich habe den Bericht selbst gesehen und gelesen.‘ Die Gefühle des Zaren 
für den Kaiser waren allmählich mehr und mehr erkaltet, weil „Nicky“ 
den Ton, den „Willy“ ihm gegenüber bisweilen anschlug, zu belehrend 
und überheblich fand. Der Großfürst Wladimir sagte mir bei einer zufälligen 
Begegnung, die ich mit ihm hatte: „Votre Empereur commence ä donner 
sur les nerfa A mon neveu, l’Empereur. Mon neveu le trouve trop outre- 
cuidant et les conseils que votre Empereur lui donne, trop cousus de fil
	        
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