DER LANGE MÖLLER 9
gleichmäßig und gerecht zur Anwendung gebracht würden. Sie müßten
eich aber auch nach Kräften bemühen, im Interesse des sozialen Friedens,
des Gedeihens der Industrie und des Schutzes der Arbeiter eine Einigung
zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern herbeizuführen. Ich forderte
die Arbeitnehmer auf, sich von Ausschreitungen fern und streng im Rahmen
der Gesetze zu halten. Ich richtete an die Arbeitgeber die Mahnung,
gegenüber den Wünschen und Beschwerden der Arbeitnehmer Verständnis
und Entgegenkommen zu zeigen. Deshalb schlösse ich mich von ganzem
Herzen der Hoffnung an, die, bevor ich das Wort ergriff, der Zentrums-
abgeordnete Herold ausgesprochen hatte: daß auf beiden Seiten die be-
sonnene Überlegung die Oberhand behalten möge! Inzwischen hatte ich
im preußischen Staatsministerium nicht ohne Schwierigkeit einen Gesetz-
entwurf durchgesetzt, der unter Abänderung des Berggesetzes hinsichtlich
des Arbeiterschutzes die Interessen der Bergarbeiter gegen die Folgen des
willkürlichen Stillegens der Zechen von seiten der Besitzer sicherstellte. Ich
hielt es für meine Pflicht, die Bergarbeiternovelle im Abgeordnetenhaus
selbst zu vertreten. Es kam dazu, daß der Handelsminister Möller von
seiner eigenen Partei, den Nationalliberalen, so scharf befehdet wurde, daß
ich für ihn einspringen mußte.
Der Handelsminister Möller war vor seiner Ernennung ein allgemein ge-
achtetes und besonders beliebtes Mitglied des Reichstags gewesen. Ich hatte
ihn dem Kaiser als Handelsminister vorgeschlagen, nicht nur, weil er dieser
Stellung sachlich gewachsen war, sondern auch, um einen Anfang mit der
Berufung von Parlamentariern in das Staatsministerium zu machen. Er
war kaum ernannt, als gerade von parlamentarischer Seite seine Ernennung
getadelt und er selber angegriffen wurde. Eugen Richter erregte Stürme von
Heiterkeit, als er bei der Etatsdebatte seine Betrachtungen über den Etat
des Handelsministeriums mit den Worten begann: „Es wird immer döller,
da kommt der lange Möller.“ Minister Möller war ein hochgewachsener,
stattlicher Mann. Am giftigsten befehdete ihn seine eigene Partei. Als ich
ibn einmal frug, worauf dies zurückzuführen wäre, meinte er mit dem Gleich-
mut und dem Humor, die diesen echten Westfalen nie verließen: „Das ist
sehr einfach! In meiner Fraktion sind mindestens drei, die selbst gern
Minister geworden wären.“ Die Hauptschwierigkeiten kamen ihm von dem
nationalliberalen Abgeordneten Heyl. Herr Cornelius Heyl war ein reicher
Lederhändler aus Worms. Er hatte das bei Worms gelegene, altberühmte
Gut Herrnsheim gekauft, das einst das Stammgut der historischen Familie
Dalberg war, die als Erbkämmerer des Hochstifte Worms dem alten Reich
mehrere Erzbischöfe und Kurfürsten geschenkt hatte. Bei jeder Krönung
mußte der Reichsherold rufen: „Ist kein Dalberg da?“ War einer da, so
erhielt dieser den ersten Ritterschlag vom neuen römischen Kaiser deutscher
Möller und
die National.
liberalen