Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Novelle zum 
Berggesetz 
92 RITTER VOM LEDER 
Nation. Karl Dalberg war der letzte Kurfürst von Mainz und Erzkanzler 
des alten Reichs, dann Großherzog von Frankfurt. Wolfgang Dalberg 
wurde die Zierde seines Geschlechts, indem er als Intendant des Mann- 
heimer Nationaltheaters Schillers erste Dramen aufführen ließ. Emmerich 
Dulberg schloß sich erst Napoleon, nach dessen Sturz den Bourbonen an 
und wurde französischer Duc. Er war der letzte Dalberg der Herrnsheimer 
Linie. Seine einzige Tochter heiratete den englischen Lord Acton, einen 
Onkel meiner Frau. Herrnsheim wurde an den reichen Cornelius Heyl ver- 
kauft. Der ließ sich vom Großherzog von Hessen baronisieren und gleich- 
zeitig ein prächtiges Buch schreiben, in dem Schloß Herrnsheim und die 
Familie Dalberg verherrlicht wurden. Seitdem hielt sich Cornelius Heyl 
durch eine Art von Autosuggestion für einen Dalberg. In einer parlamenta- 
rischen Diskussion mit ihm ließ sich Eugen Richter einmal zu der bos- 
haften Äußerung hinreißen: Es gäbe Ritter vom Schwert, diesen könne er 
seine Achtung nicht versagen. Es gäbe auch Ritter von der Feder, die er 
gleichfalls hochstelle. Aber für die Ritter vom Leder habe er nichts übrig. 
Im Gegensatz zu dem Freiherrn von Heyl machte mir der sozialdemo- 
kratische Vertreter von Bochum-Gelsenkirchen, Otto Hu&, einen sehr 
sympathischen Eindruck. Sohn eines Hüttenarbeiters, erst Schlosser, 
dann Bergarbeiter, hatte er sich auf den Reisen, die er als Handwerks- 
bursche mit offenem Blick unternommen hatte, eine ungewöhnliche Kennt- 
nis der Arbeiter- und insbesondere der Bergarbeiter-Verhältnisse nicht nur 
in Deutschland, sondern auch in Belgien, Frankreich und England ange- 
eignet. Er blieb auch in der Debatte immer sachlich und besonnen. Man 
brauchte bloß in sein ehrliches Gesicht zu sehen, um zu wissen, daß er ein 
kreuzbraver Mann war. Bei den Verhandlungen in Spa (1920), bei denen 
der redliche, aber spießbürgerlich wirkende Kanzler Fehrenbach durch die 
Rührseligkeit seiner Reden mehr als einmal den leisen Spott der Entente- 
Staatsmänner erregte, äußerte Lloyd George, daß Hu& ihm von den deut- 
schen Vertretern weitaus den besten Eindruck gemacht habe. 
Bebel behandelte 1905 den Streik und die Streiklage lediglich vom Stand- 
punkt der Agitation. Natürlich goß er alle Schalen seines Zorns über mich 
aus, dem er Verständnislosigkeit für die Nöte und Wünsche der Arbeiter 
und Unterwürfigkeit gegenüber den Arbeitgebern vorwarf, die ihrerseits 
mich feindseliger Gesinnung gegen sie selbst und des Kokettierens mit der 
Sozialdemokratie beschuldigten. So konnte ich wieder einmal mit dem 
Apostel Paulus sagen: „Judaeis scandalum, Graecis stultitia.‘‘ Ich tröstete 
mich damit, daß mir der französische Botschafter nach Beendigung des 
Streiks sagte, ein wochenlanger Ausstand von 200000 Bergarbeitern ohne 
einen einzigen Krawall, obne daß ein einziger Schuß gefallen wäre, sei für die 
sichere Fundierung der deutschen Verhältnisse und für die verständige Art,
	        
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