Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

EIN HOMO NOVUS: BETHMANN 103 
von Trachenberg den 1892 als Kultusminister zurückgetretenen, 1899 
zum ÖOberpräsidenten von Hessen-Nassau ernannten Grafen Robert von 
Zedlitz-Trützschler durchzusetzen, einen der bedeutendsten und dabei 
charaktervollsten Staatsmänner, über die Preußen zu verfügen hatte. 
In demselben Jahre, wo ich zum ersten Male in meinem Leben von 
Michaelis hörte, schlug ich Seiner Majestät den damaligen Oberpräsidenten 
von Brandenburg, Herrn von Bethmann Hollweg, zum Minister des Innern 
vor. Ich hatte ihn schon 1904 für diesen Posten in Aussicht genommen, 
da er mir durch seine Tüchtigkeit als Verwaltungsbeamter wie durch sein 
bescheidenes und biederes Wesen angenehm aufgefallen war. Damals hatte 
er mich gebeten, von ihm abzusehen, solange die Kanalfrage nicht gelöst 
wäre. Als „homo novus“, als Mann von jungem Adel, „halb kaufmännischer, 
halb professoraler Extraktion“, könne er nicht gut gegen die Konservativen 
kämpfen, unter denen der alte, bodenständige Adel prävaliere, dem wohl 
seine Frau, aber nicht er selbst angehöre. „Sie würden mich übel zurichten‘“, 
hatte er nicht ohne Ängstlichkeit gemeint. Aber am Abend des Tages, wo 
er mir 1904 diese Absage erteilte, hatte er mir einen sentimentalen Brief 
geschrieben, aus dem eine gewisse Reue sprach und in dem er sich mir für 
die Zukunft „zu geneigter Berücksichtigung‘ empfahl. Schon damals zeigte 
sich bei dem unglücklichen Mann jenes 
„bänglichs Schwanken, weibische Zagen, 
ängstliche Klagen“, 
das uns in den „dümmsten und unnötigsten aller Kriege‘, um mit Albert 
Ballin zu sprechen, ungeschickt straucheln und dann diesen Krieg verlieren 
ließ. 
Bereits bei früheren Betrachtungen über unsere auswärtige Politik habe 
ich ausgeführt, wie mein Wunsch, mit England zu einer Verständigung 
über Marokko zu gelangen, trotz der geschickten Bemühungen unseres 
damaligen Botschafters Paul Hatzfeldt und desguten Willens des englischen 
Botschafters in Berlin, Sir Frank Lascelles, an der Scheu des Premier- 
ministers Salisbury vor jeder Bindung der englischen Politik, vielleicht 
ebensosehr an seiner tiefen Abneigung gegen Wilhelm II., gescheitert war. 
Als Lord Salisbury 1902 die politische Bühne verlassen hatte, war die 
Stimmung in England gegen uns zu mißgünstig und feindlich ge- 
worden, als daß an ein englisch-deutsches Abkommen über Marokko zu 
denken gewesen wäre. Auch gegenüber einer ganz unfreundlichen englischen 
Mentalität ist mir die Erhaltung des Friedens mit dieser großen Macht, 
sofern wir Rußland gegenüber vorsichtig manövrierten, bis zuletzt als 
möglich erschienen, ein deutsch-englisches Abkommen über Marokko 
freilich nicht. Hinsichtlich Marokkos bestanden zwischen Kaiser Wilhelm IT. 
Bethmuann 
Hollıceg 
Minister 
des Innern 
Die 
Marokko- 
Frage
	        
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