Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Bülow rät 
dem Kaiser, 
in Tanger zu 
landen 
110 DEMONSTRATIVE LANDUNG 
mußten die übrigen Unterzeichner jener Madrider Konferenz von 1880 um 
ihre Zustimmung angegangen werden. Abgesehen von diesem Madrider 
Vertrage bestand seit 1890 ein Handelsabkommen zwischen Deutschland 
und Marokko, in dem uns Meistbegünstigung eingeräumt worden war. Wir 
befanden uns also in der günstigen Lage, uns auf das internationale Recht 
stützen zu können. Was die Taktik unseres Vorgehens betraf, so hatte 
Frankreich auch in dem Abkommen vom 8. April 1904 ausdrücklich ver- 
sprochen, daß es den politischen Zustand von Marokko nicht ändern werde. 
Schon deshalb schien es mir indiziert, zunächst abzuwarten, ob die fran- 
zösische Regierung diese Zusage erfüllen, wie sie überhaupt das Abkommen 
in der Praxis ausführen und namentlich wie sie sich mit unseren vertrags- 
mäßigen Rechten in Marokko und den dortigen deutschen Interessen 
abfinden würde. Hiervon abgesehen, hängt es immer von den Umständen 
ab und ist eine Frage der Opportunität, wann eine diplomatische Aktion 
begonnen werden soll. Es erschien mir ratsam, das englisch-französische 
Abkommen weder mit sofortigen Drohungen zu beantworten, noch mit 
Nervosität aufzunehmen. Ich wollte Frankreich auch in der marokkanischen 
Frage nicht a priori Mißtrauen oder Übelwollen zeigen. Es lag kein Anlaß 
vor, gegen denjenigen Teil des französisch-englischen Abkommens Stellung 
zu nehmen, der sich auf Ägypten bezog. Wir würden durch einen solchen 
Einspruch unsere ohnehin schwierigen Beziehungen zu England noch mehr 
kompliziert haben, auch abgesehen davon, daß unsere Politik traditionell 
gerade in Ägypten den Engländern nie Schwierigkeiten bereitet hatte. Um 
so mehr waren wir berechtigt, uns gegen eine Verletzung des bestehenden 
Rechtszustandes und unserer wirtschaftlichen Interessen in Marokko zur 
Wehr zu setzen, wenn es sich zeigte, daß Frankreich diese zu achten nicht 
gewillt sei. 
Darum legte ich zunächst weder Überraschung noch Verstimmung an 
den Tag. Als aber Delcass€ in seiner Presse wie in seinen Auslassungen gegen- 
über den in Paris akkreditierten fremden Vertretern immer dreister jene 
„tückische Feindseligkeit‘ an den Tag legte, die ihm Deutschland gegen- 
über Jaures in der Kammer vorwarf, als selbst Lord Rosebery erklärte, es 
sei unstatthaft, eine große Macht wie Deutschland im Welthandel mit 
Ostentation beiseitezuschieben, als Delcasse jedes Einlenken trotzig ab- 
lehnte, riet ich brieflich dem Kaiser, Tanger anzulaufen. Ich empfahl 
gleichzeitig, dort keine Prunkrede zu halten, sondern nur mit möglichster 
Unbefangenheit zu sagen, er habe keinen Grund gehabt, nicht auch dem 
Sultan von Marokko, der ein unabhängiger Herrscher sei, einen Besuch ab- 
zustatten; er hoffe, daß Marokko, das sich auf den Madrider Vertrag und 
auf das internationale Recht berufen und stützen könne, auch fernerhin 
dem friedlichen Wettbewerb aller Nationen offenstehen würde. Der Kaiser
	        
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