Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

118 EIN KUCKUCKSEI 
umgebildet haben, daß man noch für eine weitere Reihe von Jahren auf ihr 
Fortbestehen und auf Ruhe in Frankreich rechnen kann? Wie Eurer 
Exzellenz höhere Einsicht hierüber auch urteilen mag und wie weit Hoch- 
dieselben in Ihrer französischen Politik auch eventuell gehen mögen, Sie 
wollen mir für heute gestatten, daß ich zu dem in der Marokkosache jetzt 
schon sichtbaren großen Erfolg unter dem heutigen Datum des faustus 
eventus Ihres Geburtstages meine wärmsten Glückwünsche ausspreche. 
Die Frucht des Canossagangs der Franzosen wird eine doppelte sein, wenn 
Seine Majestät der Kaiser in allen seinen Verlautbarungen Allerhöchstsich 
die größte Reserve jetzt auferlegen wollte.“ 
Fistula dulce canit, volucrem dum decipit auceps. 
Ex post neige ich heute noch mehr als 1905 zu der Ansicht, der Holstein 
schon damals Ausdruck gab, nämlich zu der Meinung, daß dem Monts- 
schen Rettungsversuch für Delcasse der Wunsch zugrunde lag, auf diese 
Weise mit Nachhilfe von Barrere und Delcasse als Botschafter nach Paris 
zu kommen. Monts fühlte sich nicht mehr wohl in Rom, schon weil er sich 
dort in kurzer Frist allgemein unbeliebt gemacht hatte, in der italienischen 
Gesellschaft wie in der deutschen Kolonie. Das Ziel seiner Ambitionen 
war inerster Linie Paris, in zweiter Wien. Holstein war eine mißtrauische 
Natur, bisweilen, wie unbestreitbar ist, von krankhaftem Mißtrauen 
erfüllt. Aber wenn Robespierre gesagt haben soll, daß das Mißtrauen die 
notwendigste aller republikanischen Tugenden sei, 80 ist nicht zu leugnen, 
daß eine gute Dosis von dieser Eigenschaft auch dem Diplomaten zu 
empfehlen ist. 
Nüchtern sei, gedenk des Argwohns, dieses hält den Geist gelenk, 
sagt irgendwo Aristophanes, dessen Seele nicht nur nach Plato der Lieb- 
lingssitz der Anmut, sondern auch erleuchteter Vernunft war. Welches 
auch die Motive von Monts gewesen sein mögen, sie mußten erfolglos bleiben. 
Nur en passant gedenke ich eines Vorschlages von Eckardstein, der auf 
Umwegen an den Kaiser den Plan heranbrachte, in einer von Seiner Ma- 
jestät zu haltenden „großen“ Rede auszuführen, daß er zwar sein Recht 
wahrnehmen wolle, daß aber eine Friedensstörung ihm und seiner Regierung 
völlig fernliege. Ich zertrat dieses Kuckucksei in der Schale, zumal ich bald 
erfuhr, daß die Eckardsteinsche Proposition wieder einmal auf eine größere 
Börsenoperation zurückzuführen war, bei der er diesmal aber nicht & la 
baisse, sondern ä la hausse spekulierte. Als Kuriosum erwähne ich endlich 
noch, daß die „eklatante Satisfaktion“, die von Barrere und seinem 
Freunde Delcasse für Kaiser Wilhelm II. in Aussicht genommen war, wie 
sich später herausstellte, entweder das Großkreuz der Ehrenlegion sein
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.