Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DER FRANZÖSISCHE HOCHZEITSGAST 123 
übertriebenes Entgegenkommen gegenüber Frankreich verfallen würde. 
Das Verständnis für die Notwendigkeit des Horazischen 
Aequam memento rebus in arduis 
Servare mentem, non secus in bonis 
Ab insolenti temperatam 
Laetitia, moriture Delli 
lag ihm nicht. Dieselbe Empfindung wie ich hatte der wohlmeinende, 
politisch nicht unverständige Flügeladjutant Graf Kuno Moltke gehabt, 
ein Jugendfreund von mir aus Neustrelitz, der mir in der Nacht schrieb, 
der Kaiser würde am nächsten Tage bei einer von ihm angesetzten Feld- 
dienstübung den zu den Hochzeitsfeierlichkeiten entsandten französischen 
General Lacroix treffen. „Ich teile Ihnen dies mit, auf daß rechtzeitig in 
den schäumenden Wein der kaiserlichen Freude, ich will nicht sagen Bitter- 
wasser, aber doch aqua destillata von Ihnen gemischt werde.“ Leider 
erhielt ich diesen Brief durch ein Versehen oder die Bummelei des mit 
seiner Überbringung beauftragten Lakaien erst am Mittag des folgenden 
Tages. Inzwischen hatte der Kaiser in einem erregten Herzenserguß dem 
General Lacroix seine enthusiastische Freude über den Rücktritt von Del- 
casse und gleichzeitig die feste Überzeugung ausgedrückt, daß nunmehr 
alles in schönster Ordnung wäre. Auf Marokko habe er nie Wert gelegt, 
er gönne es gern den Franzosen. Diese spontane, gut gemeinte, aber un- 
diplomatische und unpolitische Expektoration des Kaisers hat uns bis zur 
Konferenz von Algeciras und darüber hinaus die Unterhandlungen mit 
Frankreich und die Beziehungen zu Frankreich sehr erschwert. Nicht mit 
Unrecht sollte mir Holstein vor der Algeciras-Konferenz im Herbst 1905 
schreiben: „Während wir im Schweiße unseres Angesichts für einen 
unseren wirtschaftlichen und politischen Interessen entsprechenden Aus- 
gang des Marokkostreits kämpfen, hatte Seine Majestät schon längst nach- 
gegeben. Die Franzosen wußten das, aber unser Publikum wußte es nicht, 
sondern stand ohne Erklärung vor der Tatsache, daß die französische 
Regierung vor der Rückkehr des Generals Lacroix weich und nachgiebig 
gewesen, nachher aber zähe und selbstbewußt geworden war. Die Franzosen 
hatten eben die direkte Zusage des Kaisers.“ 
Der Sturz von Delcasse war für uns kein Augenblickserfolg. Sein Sturz 
lähmte den französischen Chauvinismus in gleichem Maße wie die englischen 
Jingoes. Das erleichterte nicht nur die Fortführung unseres Flottenbaus, 
sondern unsere ganze Politik. Delcasse war das Instrument, dessen sich 
unsere Gegner bedienen wollten, um uns zu treffen. Durch Delcasse dachten, 
wie der damals in London weilende Karl Peters mit Recht schrieb, die- 
jenigen englischen Kreise, die uns unser Flottenprogramm nicht ausführen
	        
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