Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Deutsch- 
russisches 
Defensiv- 
bündnis 
scheitert 
132 DER KAISER WILL DIE KRONE NIEDERLEGEN 
dadurch einleiten lassen, daß ich meine Frau nach Zarskoje Selo begleite, 
woselbst sie ihre Schwester Elisabeth trifft, um gemeinsam mit dieser nach 
Moskau zu reisen und dort einige Wochen zu verbleiben. Ich selbst dachte 
meinen Aufenthalt auf zwei bis drei Tage in Zarskoje zu beschränken. 
Aufrichtig danke ich für das mir in letzter Zeit wieder mehrfach erwiesene 
Vertrauen, dessen ich mich würdig zu erweisen versuchen will. Ihr Chiffreur, 
der mir Ihren Brief überbrachte, soll Ihnen diese Zeilen übergeben mit einem 
schr herzlichen Gruß von Ihrem allzeit dankbaren und ebenso treuen wie 
aufrichtig ergebenen Heinrich, Prinz von Preußen.“ Nach mehrtägigem 
Aufenthalt in Zarskoje Selo drahtete mir Prinz Heinrich: „Kaiser vor- 
läufig entschlossen, Krieg fortzusetzen, ungeachtet starker Friedens- 
agitation. Er setzt seine ganze Hoffnung auf Roschdestwensky, welcher 
binnen kurzem im Sunda-Archipel ankommen soll, Kaiser in ruhiger, 
normaler Stimmung.“ Trotz ernster Bedenken von meiner Seite bestand 
Wilhelm II. darauf, daß die unter Admiral Roschdestwensky gegen 
die Japaner entsandte russische Flotte durch deutsche Kohlenlieferungen 
unterstützt würde, wobei auch der Wunsch mitsprach, der von Seiner 
Majestät so sehr geliebten Hapag, der Hamburg-A ischen Paket- 
fahrt-Aktiengesellschaft, ein von Albert Ballin lebhaft befürwortetes, für 
unsere größte Dampfschiffsgesellschaft in der Tat vorteilhaftes Geschäft 
zuzuwenden. Der Drang Seiner Majestät, der russischen Flotte einen ver- 
nichtenden Schlag gegen die verhaßten Japaner zu ermöglichen, war so 
ungestüm, daß er mir, als ich im Hinblick auf Japan wie auf England Vor- 
sicht anempfahl, mit gewohnter hitziger Übertreibung seiner Rednerei 
sagte und mir sogar schrieb: Er persönlich könne es weder mit seiner brüder- 
lichen Freundschaft für den Zaren noch mit seiner Christenpflicht verein- 
baren, die russische Flotte in ihrem Kampf für das Kreuz im Stiche zu 
lassen. Da ich aber bei der schwierigen internationalen Gesamtlage für die 
Leitung unserer auswärtigen Politik unentbehrlicher wäre als er selbst, so 
würde er, wenn ich auf meinem Widerspruch gegen die deutschen Kohlen- 
lieferungen an die russische Flotte beharre, die Krone niederlegen und 
seinen Sohn auffordern, mit meiner Unterstützung in der mir richtig er- 
scheinenden Weise weiterzuregieren. Natürlich habe ich diese Boutade 
ebensowenig ernst genommen, wie: zahlreiche gleich exzentrische Margi- 
nalien. 
Als der Zar nach dem Zwischenfall bei der Doggerbank, der ihn wenig- 
stens vorübergehend aus seiner gewohnten indolenten Apathie aufgerüttelt 
hatte, in einem Augenblick besonderer Mutlosigkeit, verbunden mit Gereizt- 
heit gegen die perfiden Engländer, dem Kaiser eine Allianz vorgeschlagen 
hatte, setzte ich seinen Wünschen entsprechend einen Vertragsentwurf 
in drei Artikeln auf, der trotz des bestehenden russisch-französischen 
 
	        
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