140 DIE VERSCHLECHTERUNG
Ew. Majestät gegenüber vor allem zu voller Aufrichtigkeit verpflichtet. Als
ich durch Ew. Majestät huldvolles Telegramm vom 24. v.M. die Nachricht
von dem Abschluß des Vertrages erhielt, war ich hocherfreut. Als mir der
Text des Vertrages telegraphiert wurde und ich auf den Zusatz ‚en Europe‘
stieß, glaubte ich zunächst, es handle sich um ein Versehen beim Chif-
frieren. Als festgestellt war, daß kein solches Versehen vorlag, nahm ich an,
daß jener Zusatz auf lebhaftes Drängen Sr. Majestät des Kaisers Nikolaus
oder eine hartnäckige Weigerung Höchstdesselben zurückzuführen sei,
den Vertrag in seiner ursprünglichen Fassung anzunehmen. Seitdem ich
weiß, daß jener Zusatz von unserer Seite ausgegangen ist, bin ich redlich
bemüht gewesen, ihm eine günstige Seite abzugewinnen. Ew. Majestät
wissen, daß ich nicht rechthaberisch bin. Je länger ich mir aber die Sache
überlege, um so mehr befestigt sich in mir die Überzeugung, daß der Zu-
satz ‚en Europe‘ eine wesentliche und verhängnisvolle Verschlechterung
des Vertrages bedeutet. Durch diesen Zusatz wird das Verhältnis zwischen
dem deutschen Einsatz und dem russischen Einsatz für den Fall eines durch
Angriff auf Deutschland provozierten Krieges ein für uns zu ungünstiges.
Was setzt Deutschland ein ? Eine schöne Flotte, einen blühenden Handel,
reiche Küstenstädte, unsere Kolonien. Was setzt, nachdem Asien ausge-
schaltet ist, Rußland ein? Eine kaum noch vorhandene Marine, einen ge-
ringen Handel, unbedeutende Küstenorte, keinen Kolonialbesitz. Das
Risiko ist mit der Einschränkung ‚en Europe‘ ein ganz unverhältnis-
mäßiges. Mit dieser Limitierung werden auch die eintretendenfalls zu for-
dernden Leistungen sehr ungleiche. In Europa kann uns Rußland mit
seiner Flotte wenig, mit seinem Hcere gegen England nichts nutzen.
Gerade derjenige Punkt, wo sich England vor Rußland fürchtet, nämlich
Indien und Persien, ist durch den Zusatz ‚en Europe‘ von einer Bedrohung
durch die Russen expressis verbis ausgenommen worden. Das Argument,
daß ein russischer Vorstoß gegen Indien schwierig oder gar undurchführbar
sei, ist meines ehrfurchtsvollsten Erachtens nicht stichhaltig. Es kommt für
die Beurteilung der Wirkung des Vertrages nicht auf die Meinung unseres
Generalstabes über die Aussichten eines russischen Vorgehens in Zentral-
asien, sondern auf die in dieser Beziehung in England herrschenden An-
schauungen an. Warum würden die Engländer Millionen über Millionen in
die Befestigung der indischen Grenzen und in die Verstärkung der indischen
Armee stecken, warum würden sie ihren besten General gerade nach Indien
senden, wenn sie sich nicht vor einer russischen Invasion fürchteten ? Die
ganze anglo-indische Literatur, die englische Presse, die englische politische
Welt und die breiten Massen des englischen Volks steben unter dem Ein-
druck dieser Besorgnis. Gerade jetzt sind die Engländer bei der Erneuerung
der anglo-japanischen Allianz bestrebt, von Japan bindende Zusicherungen