Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Trennung 
Norwegens 
von Schweden 
156 „A GREAT LIAR" 
kampagne in England gegen uns vom König persönlich geleitet werde. Er, 
Lonsdale, habe im Laufe des Sommers verschiedene deutschfreundliche 
Artikel in die englische Presse lanciert und sei deshalb durch dritte Per- 
sonen im Auftrage des Königs zur Rede gestellt worden. Er habe sich aber 
dieses Vorgehen des Königs energisch verbeten und ihm antworten lassen, 
falls der König etwas von ihm wolle, so möchte er ihn als Peer des Reichs 
und Mitglied des Oberhauses zu sich rufen lassen. Seitens der Deutschen 
Botschaft sei bei Behandlung der Presse in England nicht geschickt ver- 
fahren worden. Graf Bernstorff habe mit untergeordneten Presseleuten 
gearbeitet und dadurch nur erreicht, daß die eigentlichen Leiter der Blätter 
sich gekränkt fühlten. Auch habe man von der Botschaft antifranzösische 
Artikel in die englischen Blätter lancieren wollen; das sei natürlich sofort 
bekanntgeworden und habe den gegenteiligen Effekt hervorgerufen. Lord 
Lonsdale hat S. M. weiter erzählt, er sei mit der Minorität im Oberhause 
gegen den Abschluß des neuen japanischen Vertrags; die Regierung habe 
aber jede Kundgebung in dieser Richtung verboten. Der Vertrag müsse 
für England verhängnisvoll werden! Der Lord hat im Anschluß hieran von 
der ‚asiatischen‘ und der ‚gelben Gefahr‘ gesprochen.“ Die renommistischen 
Aufschneidereien des Earl of Lonsdale bewiesen, daß König Eduard nicht 
unrecht hatte, diesen verkrachten Nobleman und Personal friend des 
Kaisers „a great liar‘‘ zu nennen. Die Insinuation gegen Bernstorff war 
unbegründet. Graf Bernstorff, damals Botschaftsrat in London, später 
Botschafter in Washington, hatte, im Gegensatz zu Eckardstein, die 
schwierigen Beziehungen der Deutschen Botschaft zur englischen Presse 
mit ebensoviel Würde wie Geschick vermittelt. 
Im Juni 1905 war die lange erwartete Kündigung der Union zwischen 
Schweden und Norwegen durch Norwegen erfolgt. Die Beziehungen 
zwischen den beiden Völkern waren, seitdem der Wiener Kongreß sie zu- 
sammengeschweißt hatte, nie wirklich freundliche gewesen. Das Verhältnis 
glich einer jener trostlosen Ehen, wie sie Strindberg schildert. Es ist schwer 
zu sagen, ob die englische Politik zu der schließlichen Scheidung bei- 
getragen hat. Jedenfalls entsprach diese dem englischen Interesse. Schwe- 
den hatte während des achtzehnten Jahrhunderts bald zu Rußland geneigt, 
bald zu Frankreich. Im neunzehnten Jahrhundert war es unter dem Einfluß 
einer Dynastie französischen Ursprungs bis in die achtziger Jahre fran- 
zösisch gerichtet, seitdem aber traten bei dem ritterlichen schwedischen 
Volk starke Sympathien für Deutschland hervor. Um Norwegen hatte 
Wilhelm II. sich viel Mühe gegeben. Er besuchte jedes Jahr, wie viele andere 
Deutsche, das herrliche Land. Der Sang an Ägir, der in Wirklichkeit von 
Phili Eulenburg verfaßt und komponiert war, erschien unter dem Namen des 
Kaisers. Der Kaiser hatte einem Helden der norwegischen Sage, Frithjof,
	        
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