Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DIE MAROKKO-KONFERENZ 165 
Gerechtigkeit widerfahren lassen und vermeiden, ihremUrteil den Maßstab 
der Heimat, abstrakte Grundsätze oder subjektive Liebhabereien zugrunde 
zu legen. Die Förderung der deutschen wirtschaftlichen und politischen 
Interessen muß allein Ziel sein. Lamentationen über fremde Fehler und 
mehr oder weniger gelungene Ironisierungen ausländischer Zustände sind 
wertlos. Die vorstehenden Direktiven werden nicht nur bei der Bericht- 
erstattung, sondern auch materiell als Richtschnur dienen können.“ 
Inzwischen waren die Vorarbeiten für die Marokko-Konferenz wesentlich 
vorangeschritten. Zwischen uns und Frankreich waren über das Programm 
am 8. Juli und am 28. September 1905 Vereinbarungen getroffen worden, die“ 
bewiesen, daß es leichter war, mit Herrn Rouvier zu einer Verständigung 
zu kommen als mit seinem Vorgänger. Auch in den parlamentarischen 
Kreisen Frankreichs machte sich eine Besserung der Stimmung bemerkbar. 
Die seit dem Frankfurter Frieden bestehende Unterströmung blieb natürlich 
unverändert, aber die Oberfläche hatte sich seit dem Rücktritt von Delcasse 
erheblich geglättet. Im Herbst 1905 besuchte der Abgeordnete Millerand, 
damals einer der Führer der französischen Sozialdemokraten, später ein 
sehr nationalistischer Kriegsminister, Ministerpräsident und Präsident der 
Französischen Republik, die Reichshauptstadt. Über seine Begegnung mit 
Millerand meldete mir der Staatssekretär von Richthofen: „Herr Millerand 
besuchte mich heute. Aussehend wie aus mittlerem Bürgerstand, nicht groß, 
etwas rund, von guten Formen und sehr höflich. Er ist mit seiner Frau 
unterwegs nach Wien zu einem Arbeiterversicl } ß, weilt zwei 
Tage hier, reist heute abend ab und will morgen einige Stunden die Museen 
in Dresden besuchen. Zum erstenmal hier, scheint ihm Berlin sehr zu ge- 
fallen. Er äußerte sich sehr befriedigt über seine Aufnahme hier und daß 
ihm so vieles, insbesondere durch die Herren Bödecker und Freund, gezeigt 
worden sei; alles Amtliche scheine ihm vortrefflich organisiert. In poli- 
tischer Beziehung sprach Millerand abfällig über Delcasse. Nachdem man 
ihn Deutschland geopfert habe, hätte man in der Marokko-Frage größeres 
Entgegenkommen erwartet und sei etwas desillusioniert gewesen. Ich 
erwiderte ihm, es handle sich wesentlich um Bagatellen, und ich verstünde 
nicht, daß man wegen dieser in Paris so schwierig sei. Es scheine aber jetzt 
sich alles zu ordnen. Millerand bemerkte ferner, man gehe fehl, wenn man 
in Deutschland etwa geglaubt habe, daß Frankreich mit England eine 
Allianz zu schließen beabsichtige. England habe als in seinem Interesse 
liegend befunden, die Sache so darzustellen: ‚L’alliance avec la Russie et 
bon ami avec l’Angleterre et avec l’Allemagne si elle veut.‘ Je besser die 
Beziehungen zu Deutschland sich gestalteten, desto mehr werde man in 
Frankreich befriedigt sein, und er hoffe — welche Hoffnung ich teilte —, 
daß sich aus den Marokko-Beratungen schließlich ein besseres Verhältnis 
Millerand in 
Berlin
	        
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