170 VERTRAULICHES DINER MIT WITTE
geschmerzt hätte. Er habe sie mit Opodeldok eingerieben und am nächsten
Tage wieder angefangen. Er bewies durch seinen Erfolg, daß Talleyrand
nicht unrecht hatte, wenn er meinte, qu’avec un front d’airain et le sourire
sur les l&vres un diplomate de race passe partout. Das Beste für Witte tat
natürlich sein berühmter Name. Es ist betrübend, zu denken, daß, als
Deutschland sich zu Friedensverhandlungen genötigt sah, wir den sieg-
reichen Franzosen in den Wald von Compitgme keinen besseren Unterhänd-
ler entgegenzusenden wußten als den armen Matthias Erzberger, über den
der kluge Papst Benedikt XV., nachdem er ihn im Frühjahr 1915 einige
Male empfangen hatte, zu einem Herrn seiner Umgebung äußerte: „Pare
che questo famoso Erzberger sia molto bravo nel parlamento. Ma come,
per Bacco, si mescola nella diplomazia per la quale mi pare non sia adatto
a fatto.“
Die englische Politik war während der Friedensverhandlungen von
Portsmouth bestrebt, die Japaner von übertriebenen Forderungen abzu-
halten und sich den Russen nützlich zu machen. Witte erreichte in Ports-
mouth weit mehr, als man in Rußland angenommen hatte. Aus Petersburg
wurde mir geschrieben, daß dank seiner Geschicklichkeit Rußland nach
einer militärisch schlecht verlaufenen Kampagne eine diplomatische Nieder-
lage vermieden habe. Der Zar richtete ein würdiges Telegramm an den
General Linjewitsch, der nach der Abberufung des unglücklichen Kuro-
patkin den Oberbefehl über die russischen Truppen in Ostasien übernommen
hatte, in dem er dem russischen Soldaten für die wiederum von ihm be-
wiesene Mannhaftigkeit und Selbstaufopferung dankte. Im altrussischen
Stil, im Stil des Kaisers Nikolaus I. hieß es: „Möge die Armee wissen,
daß ich und Rußland ihre in diesem schweren Krieg gebrachten Opfer
schätzen.‘ Es war vorauszusehen, daß das für Rußland unglückliche Ende
des Russisch- Japanischen Krieges einerseits den nahen Osten, die Balkan-
halbinsel, wieder wie in den siebziger und achtziger Jahren zum Mittelpunkt
der russischen Aspirationen und Wühlereien machen, andererseits intime
Beziehungen zwischen Rußland und England erheblich erleichtern würde.
Als Witte aus Amerika nach Europa zurückkehrte, ließ er mich um eine
vertrauliche Begegnung bitten. Ich lud Witte zu einem Diner in dem alt-
berühmten Restaurant von Borchardt ein, bei dem wir von acht Uhr bis
nach Mitternacht alle uns interessierenden Fragen gründlich durchsprachen.
Das Ideal von Witte war noch immer die deutsch-russisch-französische
Allianz gegen England. Er suchte mich davon zu überzengen, daß, wenn wir
den Franzosen Lothringen zurückgäben, eine solche Gruppierung nicht
unmöglich wäre. Er fügte hinzu, daß die Franzosen sich in diesem Fall
wohl bereitfinden lassen würden, die Festungswerke von Metz niederzu-
reißen. Ich entgegnete ihm, daß es für jeden deutschen Kanzler und auch