Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

„NE JANZ DOLLE IDEE VON S.M.* 183 
Bescheidenheit setzte, jedes Wort betonend, Moltke mir auseinander: „Für 
die Aufgabe des Feldherrn im Kriege bin ich zu schwerblütig, zu bedächtig 
und bedenklich, zu gewissenhaft, wenn Sie wollen. Es geht mir die Fähigkeit 
ab, unter Umständen alles auf eine Karte zu setzen, was die eigentliche 
Größe des wahren und geborenen Feldherrn, die Größe von Napoleon, 
von unserem Alten Fritz und meinem Onkel ausmachte. Der Meister der 
theoretischen Kriegskunst, Karl von Clausewitz, nennt ja Napoleon einen 
leidenschaftlichen Spieler. Clausewitz meint auch, und diese Worte sind mir 
in diesen Tagen oft durch den Sinn gegangen, daß der Krieg immer etwas 
von der Natur des Glücksspiels behalte. Deshalb werde der Feldherr, der 
zu wenig Neigung für dieses Spiel habe, im großen Kontobuche der kriege- 
rischen Erfolge in eine tiefe Schuld geraten. Ich habe keine Neigung, auch 
nicht das Temperament zum Hasardieren.““ Moltke fügte hinzu, daß ihm 
der Gedanke entsetzlich wäre, mit dem Bewußtsein seiner Unzulänglichkeit 
einen derartig wichtigen Posten zu übernehmen, auf die Gefahr hin, nicht 
nur die Armee und das Land zu schädigen, sondern auch auf den hell 
leuchtenden Namen seines Oheims einen Schatten zu werfen. Er knüpfte 
an diese mit Überzeugung gesprochenen Worte die dringende Bitte, ich 
möchte den Kaiser von dem Gedanken abbringen, ihn zum Chef des preußi- 
schen Generalstabes zu ernennen. Ich erwiderte Moltke, daß es mir peinlich 
wäre, ihm seine Bitte abzuschlagen. Ich hätte mir aber zur Regel gemacht, 
mich nicht in militärische Angelegenheiten und insbesondere Perso- 
nalien einzumischen. Ich erlaubte keine Ingerenz in meinen eigenen Wir- 
kungskreis, wolle aber auch nicht in die Rechte und Obliegenheiten anderer 
eingreifen. Mit dem Ausdruck des Bedauerns, aber in Würdigung meiner 
Beweggründe trennte sich Moltke mit kräftigem Händedruck von mir. 
Am Nachmittage desselben Tages begegnete ich in der Wilhelmstraße 
dem Chef des Militärkabinetts, dem Grafen Dietrich Hülsen, der ebenso 
wie Moltke seit langem zu meinen besten Freunden gehörte. Ich erzählte ihm 
meine Unterredung mit Moltke. Mit Humor und in seinem unverfälschten 
Berliner Deutsch erwiderte mir Hülsen: „Det is sehr vernünftig von Julius 
(so wurde Moltke von seinen Freunden, ich weiß selbst nicht warum, 
genannt), so zu sprechen. Er paßt auch jar nicht in den roten Kasten am 
Königsplatz. Det is ne janz dolle Idee von S. M.“ Sehr ernst werdend, fuhr 
Hülsen fort: „Es wird aber unendlich schwer sein, dem Kaiser diesen Ge- 
danken auszureden. Wenn ich dem Kaiser für irgendein Armeekorps einen 
neuen Kommandierenden General vorschlage, für die wichtigsten Korps, 
für Metz oder Posen, und es soll nicht gerade Kaisermanöver bei dem be- 
treffenden Korps sein, so stimmt Seine Majestät ohne weiteres zu. Aber wenn 
es sich um Posten handelt, mit deren Trägern er in häufige Berührung 
kommt, also z. B. um die Kommandeure der Leibregimenter oder um den
	        
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