WILHELM II. IN UNRUHE 209
machen als Lansdowne-Chamberlain-Balfour in den letzten Jahren. Ich
fügte in meinem Brief an den Kaiser hinzu, und dies nicht bloß referierend,
sondern recht eigentlich in usum Delphini: „Ich habe mit beiden Knien
auf unsere Presse gedrückt, damit sie nun kein Triumphgeschrei anstimmt
und auch die Anbiederung an England nicht zu weit treibt, denn es kommt
jetzt darauf an, die englischen Liberalen nicht durch ein forciertes
Sichherandrängen kopfscheu zu machen und der englischen Aktions-
partei nicht die Möglichkeit zu geben, die Liberalen als germanophil zu
diskreditieren.“
Je länger die Konferenz von Algeciras dauerte, um so höher stieg die
Nervosität Seiner Majestät. Sie wurde noch durch einen wohlgemeinten,
aber nach Lage der Verhältnisse nicht glücklich wirkenden Brief des treff-
lichen Großherzogs Friedrich von Baden verstärkt, der Seiner Majestät
unter anderem schrieb: „Wie schädlich ein Krieg mit Frankreich dermalen
für uns wäre und wie unpopulär in Deutschland, das ist wohl selbstredend.
Ein solcher Krieg kann nur von denen gewünscht werden, die unsere hoch-
entwickelte Industrie durch Hinderung eines genügenden Exportes rui-
nieren wollen, was auch erfolgen würde, wenn der Krieg endlich siegreiche
Erfolge zu Lande hätte. Aber wir würden alle Verbündeten verlieren und
nur schwer wiedergewinnen. Bei der gottlob vorhandenen friedlichen Ge-
sinnung der deutschen Reichsregierung würde man in Deutschland ein
Entgegenkommen derselben in der Marokko-Frage freudig begrüßen und
dem Wiederaufblühen unserer industriellen Interessen dankbar entgegen-
sehen. Ist Frankreich seiner östlichen Grenzen sicher und überzeugt,
daß Deutschland aufrichtig den Frieden will, so wird uns trotz der
elsaß-lothringischen Frage ein Entgegenkommen in Algeciras von
größtem Nutzen sein.“ Ich ließ es mir angelegen sein, den patriotischen
und weisen, mir freundlich gesinnten Großherzog durch eingehende
vertrauliche Mitteilungen aus den Akten darüber aufzuklären, daß seine
Wünsche sich mit meinen Zielen deckten, die ich mit Gottes Hilfe auch
zu erreichen hoffe.
Dem Kaiser gegenüber hielt ich daran fest, daß, wenn wir nicht die
Nerven verlören, wir zu einer Verständigung gelangen würden, auch ohne
„nach Olmütz zu gehen“. Ich glaube, daß wir in Algeciras in verschie-
denen Einzelfragen noch mehr durchgesetzt haben würden, wenn wir, un-
beeindruckt durch das Geschrei der englischen und französischen Presse
und das ziemlich unwürdige Gewinsel einiger deutscher Zeitungen, keinen
Zweifel darüber gelassen hätten, daß wir ein ergebnisloses Auseinandergehen
der Konferenz nicht mehr als andere zu fürchten hätten. Der Kaiser wollte
es aber auf einen solchen Ausgang nicht ankommen lassen. In einem langen
Gespräch im Garten des Reichskanzlerpalais, Anfang April 1906, drückte
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